Johannes Anders
Musik - Journalist

John Coltrane Quartet: "Live at the Half Note"

Sensationelle Aufnahmen entdeckt

John ColtraneDie Reihe der Coltrane-Editionen und Wiederveröffentlichungen ist lang, fast alle Aufnahmen sind mittlerweile auf CD erhältlich. Muss man sich da noch eine weitere anhören, anschaffen? Ja, unbedingt, denn die Aufnahmen des soeben erschienenen 2CD-Albums mit Coltranes klassischem Quartet wurden noch nie vorher veröffentlicht; sie existierten bis jetzt einzig als Bootleg-Radiomitschnitte in Musiker- und Fankreisen. Doch jetzt wurden die Master-Bänder der Radio-Livesendung aus dem New Yorker "Half Note" vom März und Mai 1965 entdeckt und die Qualität war so gut, dass es lohnend erschien, sie klangtechnisch weiter zu verbessern. Sohn Ravi Coltrane betreute diese Edition, verfasste für das Booklet einen Essay über seinen Vater und gewann den renommierten Jazzautor Ashley Khan ("A Love Supreme – The Story Of John Coltrane's Signature Album", "Kind of Blue – Die Entstehung eines Meisterwerks") für die Liner Notes. Das Bedeutungsvollste, ja man muss sagen Sensationellste dieser Aufnahmen aber ist, dass sich Coltrane hier wie kaum zuvor an der Schwelle zum freien Spiel befand, wie er es danach zum Beispiel mit Drummer Rashid Ali verwirklichte.

Zur Erinnerung: Im Oktober 1964 fand auf Initiative von Bill Dixon die sogenannte "Oktober Revolution" des Jazz im kleinen "Cellar Cafe" in der Nähe des Broadway statt, wo während vier Tagen etwa 20 Gruppen und eine Vielzahl bekannter und damals noch unbekannter Musiker spielten. Im danach im März 1965 unter der Leitung des Schriftstellers und Jazzkritikers LeRoi Jones organisierten Konzert "New Black Music", gedacht als Demonstration eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins, trat neben damals revolutionären Gruppen wie etwa Archie Shepp, den Ayler-Brüdern, Charles Tolliver oder Sun Ra mit seiner "space music" überraschenderweise auch John Coltrane auf, also zu der Zeit, in der auch die Live-Übertragungen aus dem "Half Note" stattfanden. Dieser Kontakt mit den jungen Wilden der New Yorker Szene ging nicht spurlos an Coltrane vorüber und wirkte wie ein zusätzlicher Antrieb für seine Suche nach Befreiung, nach  Neuem, was jedoch nicht nur in den drei Monate später enstandenen, epochalen Aufnahmen für "Ascension" ihren kraftvoll- spannenden, explosiven Niederschlag fand, sondern bereits in den langen Improvisationen des vorliegenden Albums bewegend zu spüren ist. Grandios, wie sich hier Coltrane, McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones in Themen wie "One Down, One Up" (27:40), "Song of Praise" (19:39), "My Favorite Things" (22.47) und "Afro Blue" (12:44) hineinsteigern. Ein aufregendes Ereignis. Übrigens: Soeben wurde das Album im "Preis der Deutschen Schallplattenkritik" in die Bestenliste 1/2006 aufgenommen. ja

("Coltrane – Live at the Half Note: One Down, One Up", Impulse/Universal 2CD 06024 9862143 1)





© JAZZ 'N' MORE - 2/2006
© Fotos: Johannes Anders



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