Johannes Anders
Musik - Journalist

Der Phantompianist

Rückfall in frühere Fernsehzeiten -  eine Glosse


Eigentlich dachte man, die Zeiten seien überwunden, als der Bildregie bei Jazz-Aufnahmen fürs Fernsehen nichts anderes einfiel, als eine Orgie von quasi anatomischen Nahaufnahmen von Gliedmassen der verschiedenen MusikerInnen zu präsentieren: Minutenlanges Draufhalten der Kamera auf Hände, auf die Finger des Saxophonisten, des Pianisten, des Trompeters, des Bassisten (wie sauber sind die Fingernägel?) auf das Mundstück und die Lippen von Bläsern, auf die so schön wirbelnden Stöcke des Schlagzeugers....; Hände, Hände, Hände, Finger, Finger, Finger, Arme, Arme, Arme...! Aber wer spielt denn da eigentlich? Dass diese Körperteile in Grossaufnahme zu Menschen gehören, zu MusikerInnen, die sich engagieren, sich einbringen, mit anderen mehr oder weniger intensiv kommunizieren und reagieren, Blickkontakt haben oder suchen, was beim Jazz ja besonders wichtig ist, - das alles wird anscheinend konsequent ausgeblendet und als nicht wichtig angesehen. Da spielen Phantome, die offenbar nur aus Gliedmassen bestehen, ohne Körper, ohne Gestalt und vor allem ohne Kopf. Sind JazzmusikerInnen wirklich kopflose Wesen, ohne Gefühl, ohne Mimik und Gestik, ohne Gesicht, ohne Ausdruck, ohne Körpersprache?

Die 3sat-Sendung vom 5.10. mit dem Quintett der Sängerin Dianne Reeves und dem Schleswig-Holstein-Chamber-Orchestra vom JazzBaltica-Festival 2001 in Salzau brachte in dieser Hinsicht ein unglaubliches Extrem, waren doch beispielsweise vom Pianisten geschlagene 70 Minuten, wenn überhaupt, nur die Hände zu sehen! Wer war denn der Mann am Klavier, wie sah er aus, wie wirkte er, gab es die so wichtigen Blickkontakte mir anderen Musikern und vor allem mit der Sängerin? Erst beim letzten Stück "Obsession", also nach ca. 1 1/4 Stunden, bekam man den Pianisten endlich richtig zu Gesicht, nachdem man ihn vorher bei wenigen Zwischenschnitten nur von weitem, bei Totalen oder, wenig aussagekräftig, einige Male kurz von der Seite zu sehen bekam. (Wenigstens wurde die Hauptdarstellerin und Sängerin richtigerweise ausgiebig ins Bild gerückt, ausnahmsweise ohne Nahaufnahmen von Mund, Lippen, Zähnen, - immerhin ein kleiner Lichtblick.)

Müsste da nicht endlich einmal eine phantasievollere, jazzadäquatere, musikalischere Bildführung realisiert werden, vor allem bei 3sat/ZDF, wo erfreulicherweise und höchst anerkennenswert so viele Jazzkonzerte live aufgezeichnet werden? Müssten nicht die phantasielosen Leute, die für die Bild- und Kamera-Führung verantwortlich sind und denen nichts Orginelleres als Nahaufnahme-Exzesse einfallen, die also ganz offensichtlich über zu wenig oder gar kein entsprechendes Jazzfeeling verfügen und stattdessen auf musikfremdes Styling und Bilddesign machen, - müssten die nicht mal anderen, kreativeren, musikalischeren Leuten mit unverbrauchten, neuen Bildregie-, Kameraführungs- und Bildschnitt-Ideen Platz machen? (Die Film- und Video-Dokumentationsstellen von Universitätsspitälern und orthopädischen Kliniken würden sich über die Mitarbeit derartiger Grossaufnahme-"Fachleute" sicher sehr freuen. Sie würden also vermutlich nicht arbeitslos werden....) 

„Wie wahr!“ 

Zum Schluss sei noch die Reaktion des bekannten Schweizer Filmemachers und Jazzfans Rolf Lyssy („Die Schweizermacher“) zu Thema und Text angemerkt: „Ich kann dazu nur sagen: Wie wahr! Man müsste den TV-Knülchen, die so mit Musikern umgehen, das Handwerk legen. Es bleibt viel zu tun. Packen wir‘s an.“ Dem ist nichts hinzuzufügen, oder höchstens das: Wann macht Rolf Lyssy seinen ersten Jazz-(Sängerinnen-)Film?, war er doch ebenso wie ich begeistert von der europäischen Erstaufführung des bewegenden Films „Jazzwomen“ der italienischen Filmautorin Gabriella Morandi beim 54. Estival internazionale del film locarno 2001. Wir wären alle sehr gespannt, packs an Rolf! (Aber eben, woher die „Kohlen“ nehmen..., wo ist der potente, jazzinfizierte Financier?

Johannes Anders  

© JAZZ 'N' MORE - 6/2001



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