Johannes Anders
Musik - Journalist

Jazz und arabische Musik in Kairo

Pro Helvetia ermöglicht ideensprühende Kulturbegegnungen

Text und Fotos von Johannes Anders  

Wenn in den Medien von der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia die Rede ist, stehen seit längerer Zeit nicht mehr kulturelle Aktivitäten sondern vor allem Konflikte zwischen dem Stiftungsrat und dem Direktor im Vordergrund. Dabei geht es offensichtlich weniger um allfällige Reformen oder die grundsätzliche Ausrichtung der Kulturstiftung, sondern vor allem darum, wer mit welchen Kompetenzen welche Massnahmen in die Wege leiten darf. Dass nach Direktor Urs Frauchiger kürzlich nun auch sein Nachfolger, der Bündner Bernhard Cathomas, das Handtuch warf, hat anscheinend damit zutun, dass sich die jeweiligen Direktoren mit der faktischen Funktion eines Generalsekretärs mit beschränktem Entscheidungsspielraum nicht abfinden möchten. Der 30-köpfige Stiftungsrat, der nach wie vor die Kompetenz für wichtige Entscheidungen hat, möchte jedoch, wie kürzlich zu lesen war, an den traditionell gewachsenen demokratischen Entscheidungsprozessen festhalten. Wie dem auch sei: Beim Stichwort Pro Helvetia steht für unser Magazin nach wie vor die praktische Kulturförderung im Vordergrund: Im „JAZZ ‚N‘ MORE“ Nr. 2/2000 taten wir das generell, im nachfolgenden Bericht geht es ums Detail, nämlich um die interessanten Aktivitäten der Pro-Helvetia-Vertretung in Kairo.

Vielfältige Kulturinitiativen

Hochinteressant ist, wenn Anita Müller, die Nachfolgerin der langjährigen Leiterin Ursula Rindlisbacher,  zu erzählen beginnt, was da allein im letzten Jahr an kulturellen Projekten realisiert wurde, (auf die grosse Zahl früherer Anlässe der 1987 gegründeten Pro-Helvetia-Vertretung, die übrigens auf dem Areal der Schweizer Botschaft domiziliert ist, können wir hier leider nicht eingehen). Generell geht es, wie Anita Müller betont, nicht einfach nur darum, Schweizer und ägyptischen oder arabischen Künstlern der verschiedensten Bereiche im jeweils anderen Land zu Auftrittsmöglichkeiten zu verhelfen, sondern als Aufgabe und Ziel sieht sie den Kulturaustausch, gemeinsame Werkstattprojekte, das gegenseitige Kennenlernen und miteinander Arbeiten von Künstlern,  Kulturschaffenden und auch Organisatoren, sodass sie im besten Fall zu inspirierenden und Kreativität stimulierenden Multiplikatoren werden. Der Idealfall wäre dann, so Anita Müller, wenn die angestossenen kulturübergreifenden Kontakte und Verbindungen dann selbstständig weiterlaufen würden und es schlussendlich nur noch darum geht, „die richtigen Informationen an die richtigen Leute weiter zu geben“. Betätigungsfeld ist übrigens nicht nur Kairo und Ägypten sondern der gesamte arabische Raum inklusive Palästina und dem Gaza-Streifen. Eine weitere Aufgabe besteht übrigens darin, sich immer wieder um verwandte Organistionen und Institutionen aus beiden Ländern als Mitveranstalter zu kümmern, damit die zum Teil hohen Kosten nicht allein von der Pro Helvetia getragen werden müssen, und so Kapazitäten für weitere Vorhaben frei bleiben Viel kulturelle Aufmerksamkeit, organsisatorische Flexibilität, aber auch ideenreiches Improvisationsvermögen sind da von Seiten der Pro-Helvetia-Vertreterin gefragt, denn nicht alles kann minutiös auf Jahre hinaus angerissen und vorausgeplant werden und auf so manche vielversprechende kulturelle Begegnungsmöglichkeit stösst man vielleicht ganz zufällig, wenn man offen genug auf Menschen, Szenen und Ereignisse zu reagieren vermag. Anita Müller erzählt zum Beispiel davon, wie sie ganz zufällig davon erfuhr, dass die Westschweizer Lyrikerin Sylvaine Dupuis in Genf einen kuwaitischen Journalisten und Dichter kennengelernt hatte, der dann später Werke von ihr ins Arabische übersetze. Beim Nachforschen und Näherkennenlernen stiess Müller darauf, dass sich die Dichterin ziemlich eingehend mit mystischer arabischer Dichtung auseinandergesetzt hat, was Grund genug war, für sie in Ägypten eine Lesetournee zu organisieren, mit Konferenz- und Leseveranstaltungen, zum Beispiel an den Universitäten von Kairo und Alexandria, womit auch eine Vielzahl von Kontakten zu einheimischen Autoren ermöglicht wurden. Oder sie erzählt vom Zusammentreffen der Swiss Clarinet Players mit ägyptischen Musikern und Komponisten und den Konzerten, bei denen u.a. von den Swiss Clarinet Players an ägyptische Komponisten in Auftrag gegebene Kompositionen aufgeführt wurden, wobei auch Musiker auf arabischen Instrumenten mitwirkten. Ali Osman, einem der beteiligten ägyptischen Komponisten wurde dann in der Folge ein Aufenthalt als „Composer in Residance“ im Künstlerhaus Boswil und in Basel ermöglicht, natürlich auch wieder in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Institutionen. Im Februar wird übrigens der Zürcher Komponist, der auch als Free-Music-Cellist sowie NZZ-Musikkritiker tätig ist, für musikalische Kontakte einen Monat in Kairo weilen.) Als drittes der vielen möglichen Beispiele nennt Anita Müller dann noch die Begegnungen der beiden „Old Ladies“ des Dokumentarfilms, der Westschweizer Jacqueline Veuve und der Kairoer Ateyyat-al-Abnoudi; dabei schwärmt sie von den phänomenalen Übereinstimmungen der beiden, nicht nur was die Biografien betrifft sondern auch in Bezug auf die thematischen Ähnlicheiten und die Art der Blickwinkel usw., und auch davon, welche Freude dieses Zusammenreffen bei den beiden auslöste und mit welchem Vergnügen sie an den Projektionen teilnahmen und mit dem zahlreichen erschienenen Publikum diskutierten.  Zum Thema Dokumentarfilm sei noch erwähnt, dass Jean Perret, dem Direktor des jeweils im Frühjahr in Nyon stattfindenden, wichtigsten Schweizer Dokumentarfilmfestivals „Visions Du Réel“, eine Recogniszierungs- und Networking-Reise nach Ägypten ermöglicht wurde, mit einem kleinen Empfang, bei dem er die Möglichkeit hatte, eine Vielzahl ägyptischer Dok-Filmer kennenzulernen, und man darf gespannt sein, ob und wenn ja, welche Ausbeute er beim kommenden Festival präsentieren wird. 

Begegnungen zwischen Jazz und arabischer Musik

Von der beachtlichen Zahl Schweizer MusikerInnen des Jazz und verwandten Formen improvisierter Musik, die schon hier zu Gast waren und Projekte realisierten, wie etwa Corin Curschellas, Christy Doran, Fritz Hauser, Co Streiff, Koch-Schütz-Studer und Stephan Athanas, war schon verschiedentlich an diesem oder jenem Ort die Rede. Warum mich gerade der erneute ägyptische Aufenthalt von Athanas mit seinem ContempArabic Jazz Ensemble reizte, war nicht so sehr, dass er in Kairo und Alexandria seine bereits auf CD eingespielte, neunsätzige, auf alten tunesischen Musiktraditionen beruhende Suite „Nûba Hsìn“  aufführen würde (vergl. „JAZZ ‚M‘ MORE“, Nr. 3/2000),  sondern die Frage, wie homogen das seit längerem in praktisch unveränderter Besetzung bestehende, sich aus tunesisch-ägyptischen, französischen und Schweizer MusikerInnen zusammmensetzende Ensemble trotz unterschiedlicher Ansätze der Improvisation jetzt zusammenspielt, trifft es sich doch seit längerem in praktisch unveränderter Besetzung immer wieder für Gastspiele und Tourneen. Und weiter war ich gespannt, ob sich das ägyptische Publikum in einer Zeit der auch hier überhand nehmenden Dominanz von Pop-, Techno- und DJ-Einflüssen überhaupt für derartig kulturübergreifende Musikprojekte interessieren und wenn ja, wie es darauf reagieren würde. Und die Überraschung war gross, denn das erstaunlich gemischte Publikum aller Altersschichten kam in Scharen, darunter allerhand, wie man mir sagte, mehr oder weniger bekannte Vertreter der Kairoer Musikszene wie der Komponist zeitgenössicher Musik und Boswil-Gast Ali Osman, der bekannte Nai-Spieler Mohammed Abdelrahim oder der Oud-Virtuose George Kazazian, sodass das sich in unmittelbarer Nähe der berühmten Al-Azhar-Moschee und des bekannten „ Khân-el-Khalili-Basar“ befindende, rund 300 Personen fassende  Kulturzentrum „Beit al Harrawi“ zweimal geradezu aus den Nähten platzte und Zugaben erklatscht wurden. Leider hatte das zweite Konzert, dem ich beiwohnte, allerhand Starschwierigkeiten, weil der Verantwortliche für die Raumbeschallung und die Bühnenmonitore zu spät eintraf und die MusikerInnen sich selbst nicht gut hören konnten, was gerade bei derartig komplexen Projekten natürlich zu allerhand Problemen führt. Danach aber klappte das diffizile Zusammenspiel und die Improvisationen konnten bestens ins Geschehen integriert werden. Der virtuose, tunesisch-ägyptische Samir Ferjani auf der Flöte Nai, seine tunesische Kollegin  Samiha Ben Saïd, Gesang und Trapezzither Qanun, der ebenfalls aus Tunesien stammende, unerhört dynamische Perkussionist Benji Fellous an Darbouka und Bendir, Gitarrist Bernard Vidal aus Frankreich, auch er ein beeindruckender Könner seines Instruments, dann „unser“ Tenorsaxophonist Dave Feusi, dessen eingestreute, explosive Soloeskapaden das Publikum immer wieder zu Beifallsstürmen hinriss, und schliesslich noch Patrick Bürli am Schlagzeug und natürlich der Leader und Komponist der Suite, Stephan Athanas an E-Bass und Gitarre: sie alle agierten hervorragend zusammen und erreichten, dass man nicht den Eindruck irgend eines beliebigen Fusionprojekts bekam, sondern den eines gültigen Resultats konseqenter, mit Engagament und Feeling angegangener Begegnungs-, Dialog- und Annäherungsprozesse.

Jam Session und Auftritt in der Kairoer Oper

Dass Anita Müller am Vorabend in der Villa des Schweizer Clubs zu einer offenen Jam Session einlud, mit Speis und Trank, sowie unter Mitwirkung und Assistenz der ContempArabic-MusikerInnen, war eine weitere Attraktion, auch wenn der Aufmarsch von interessierten Musikern, die auch bereit waren, einzusteigen, nicht gerade überwältigend war. Immerhin waren extra für diesen Abend drei junge Nachwuchsspieler aus Alexandria angereist und auch einige prominente Instrumentalisten und Komponisten zeitgenössischer Musik wie Khaled Shouqri und Ramz Sabry Sami, der Kontrabasspieler Beshir Barakat vom Cairo Symphony Orchester, aber auch Fathy Salama, Bandleader und Pianist der bekannten Fusiongruppe Sharkiat, waren unter den Gästen und mit dem einen oder anderen ergaben sich spannende Momente und auch Konfrontationen, oder es entspannen sich angeregte Diskussionen. Ein Ergebnis dieser Jam Session war übrigens, dass Fathy Salama die Musiker des ContempArabic spontan dazu einlud, am nächsten Abend bei seinem Konzert in der Cairoer Oper mitzuwirken. - Zwei Konzerte in Kairo, eines in Alexandria, einen Workshop zum Thema Jazz und arabische Musik am Konservatorium Kairo, dazu eine interessante Jam-Session-Party im Schweizer Club sowie ein abschliessender, erfolgreicher Auftritt in der Kairoer Oper, - mehr Auftrittsmöglichkeiten sowie Publikums- und Musikerecho kann man sich hier als Band eigentlich nicht erträumen, also beste Voraussetzungen für die nachfolgenden drei Konzerte in Tunesien, die, wie inzwischen zu erfahren war, ebenfalls erfolgreich über die Bühne gingen, obwohl Patrick Bürlis Schlagzeug nie in Tunis ankam.  Johannes Anders

 

© JAZZ 'N' MORE 1/2001
Fotos: © Johannes Anders



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