Johannes Anders
Musik - Journalist

Lucerne Festival 2005 "Neuland":

Viele begeisternde Highlights

Von Johannes Anders

Arditti Quartet 

Pierre Boulez, Simon Rattle, Claudio Abbado, Pierre-Laurent Aimard, Helmut Lachenmann, Orchester und Ensembles der Lucerne Festival Acdemy, Arditti Quartet, Ensemble Intercontemporain, Lucerne Festival Orchestra, Ensemble Modern – unmöglich, alle Highlights zu erwähnen.

Pierrre BoulezGeprägt wurde das diesjährige Sommer-Festival "Neuland" von Pierre Boulez (80.) und dem "composer-in-residence" Helmut Lachenmann (70.). Boulez, bedeutendste Persönlichkeit der Musik des 20. und wohl auch 21. Jahrhunderts, ist ein phänomenaler Musiker, der zum Beispiel trotz seines Alters ein zweistündiges Konzert mit schwierigsten Kompositionen wie etwa Edgar Varèses "Amériques" souverän und ohne Ermüdungserscheinungen dirigiert. Aber Boulez leitet auch die Lucerne Festival Academy, in der er Gruppen aus den jeweils international ausgewählten 125 besten NachwuchsmusikerInnen das Analysieren, Dirigieren und Interpretieren sowie das Interesse, die Hingabe und die Liebe zur Neuen Musik vermittelt. Wie gut ihm das gelingt, konnte man bei den Konzerten der verschiedenen Lucerne Festival Academy Ensembles eindrücklich erleben, die zumeist auf einem technisch und interpretatorisch hohem Niveau musizierten, wie man es bei internationalen Spitzenorchestern, wenn sie Neue Musik spielen, nur selten findet.  

"Musik als existentielle Erfahrung"      

Die Kompositionen des mit zahlreichen Ehrungen und Preisen ausgezeichneten Stuttgarter Helmut Lachenmann kann man als Forschungsreisen in die Grenzbereiche zwischen Verglimmen und Unhörbarkeit, aber auch in die Spannungsebenen der Emphase, Energie und Intensität bezeichnen, in die Sogwirkungen des Rhythmischen und Geräuschhaften. Lachenmann möchte neue Erlebniswelten erschliessen, bisherige Hörgewohnheiten aufbrechen, das Entwickeln neuer Sensibilitäten ermöglichen. Besonders gut kam das im 3. Streichquartett "Grido" zur Geltung, faszinierend interpretiert vom fabulösen Arditti Quartet, das dann allerdings mit Beethovens Grosser Fuge B-Dur op.133 überraschenderweise einen eher zwiespältigen Eindruck hinterliess.  Spannend dann Lachenmanns Bearbeitung von "Grido" für 48 Streicher, mitreissend interpretiert von einem der Ensembles der Lucerne Festival Academy.

Vierstundenparcours durch Boulez' Klavierwerke

Lucerne FestivalDer grandiose Pianist und Neue-Musik-Interpret Pierre-Laurent Aimard lud zu einem äusserst ungewöhnlichen Atelierkonzert ins Luzerner Theater ein. Auf dem Programm sämtliche Klavierwerke von Boulez (!), die Aimard nicht nur unter die Haut gehend interpretierte sondern zusammen mit seiner hervorragenden Partnerin, der bulgarischen Pianistin Tamara Stefanovic, auch kommentierte und mit projizierten Manuskripten und Notenbeispielen vorstellte. Und das machte er nicht etwa hochanalytisch, sondern mit allgemein verständlichen Erklärungen, wie etwa  "jetzt explodiert der Vulkan", "hier öffnet sich ein Fenster" oder "jetzt kommt das Monster" usw. - ein wunderbar erhellendes Erlebnis, bei dem die Zeit wie im Fluge verging.  

 

Erfolg für Dieter Ammann

Während die Abendkonzerte am 23. August der Hochwassersituation zum Opfer fielen, konnte der um die Mittagszeit angesetzte Auftakt der Konzertreihe "Debut" in der übrigens vollbesetzen Lukaskirche stattfinden. Dieses Preisträgerkonzert erhielt seine feierliche Note durch die Verleihung des "Prix Credit Suisse Jeunes Solistes" (25'000 Fr.) an das Tecchler Trio, sowie durch die Ansprachen von Festivalintendant Michael Haefliger, Jurypräsident Daniel Fueter  sowie einem Vertreter der Credit Suisse. Das seit Herbst 2003 regelmässig zusammenarbeitende, bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnete Trio mit Esther Hoppe, Violine, Maximilian Hornung, Violoncello, und Benjamin Engeli, Klavier, überzeugte nicht nur mit Beethoven und Mendelssohn sondern vor allem mit  Dieter Ammanns hochkomplexem "Après le silence", einer 18-minutigen Komposition, die an das interpretatorische Können, an die formale wie rhythmische Gestaltung sowie das präzise Zusammenspiel höchste Anforderungen stellte. Das spannende Spiel mit unerwarteten Stimmungen, Strukturen, Geräuschen, mit dramatischen Wechseln zwischen Ausbruch und Stille, mit zuweilen anklingenden Assoziationsebenen auch zu Aussermusikalischem, zu Verlöschendem bis hin zum "Atemstillstand", brachten die Drei souverän mit Verve und Vitalität zu Gehör, was verdientermassen grossen Beifall auslöste. Interessant, dass Ammann nicht der Versuchung erlag, aus seinem breiten musikalischen Background Elemente aus Funk und Jazz einzubeziehen.

(Aktueller CD-Tipp, soeben erschienen: Pierre-Laurent Aimard: Ravel "Gaspard de la nuit", Carter "Night fantasies"; 2CD inkl. Bonus-CD mit Klangbeispielen und Erläuterungen in engl., franz.und deutsch. Warner Classics 2564 62160-2)


 


 




© JAZZ 'N' MORE, Nr. 1/2006.
Fotos: © Lucerne Festival / Priska Ketterer / Georg Anderhub
Foto © Johannes Anders



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