Johannes Anders
Musik - Journalist

Fundierter Publizist und Jazzkenner

Konstatierte viel Fanprosa und Dilettantismus

Zum Tod von Peter Niklas Wilson

Einer der wichtigsten deutschsprachigen Publizisten zum zeitgenössischen Jazz, zur Neuen Musik und zu den dazwischen liegenden Spannungsfeldern starb 46-jährig in Hamburg an den Folgen einer Leukämieerkrankung. 

Er schrieb grundlegende Monografien über Albert Ayler, Anthony Braxton, Ornette Coleman, Miles Davis und Sonny Rollins, verfasste unzählige, Diskurs prägende Essays über zeitgenössischen Jazz, freie Improvisation und Neue Musik, war Lehrbeauftragter an der Hamburger Musikhochschule und am Musikwissenschaftlichen Institut der Unversität Hamburg, engagierte sich als Lektor für wichtige Buchveröffentlichungen, verfasste fachkundige Liner Notes für CD-Editionen, gestaltete Rundfunksendungen, schrieb nicht nur für die Fachpresse sondern auch für diverse deutschsprachige Feuilletons, darunter die NZZ und die Basler Zeitung. Er hielt Kurse, u.a. beim Institut für Medienwissenschaften der Uni Basel zum Thema „Musikalische Erfindung und technische Medien – aktuelle Perspektiven“ und war kürzlich Gast beim Darmstädter Jazzforum, wo er Ende September mit seinem Vortrag „Neue Paradigmen in der Improvisierten Musik“ kontroverse Diskussionen auslöste. Vor zwei Jahren provozierte er im Rahmen der Projektwoche „Jazzkritik und Interessenkonflikte“ der Musikhochschule Luzern, Fakultät 3 (Jazzschule) mit einen Vortrag zum Thema „Anmerkungen zur Situation deutschsprachiger Jazzkritik“, wo er u.a. konstatierte, dass sowohl in der Fachpresse wie in Tageszeitungen ernstzunehmende und kritische Beiträge über den Jazz immer mehr von „Fanprosa und kaum verhüllten PR-Mitteilungen“ abgelöst würden. Musikalisch-fachlich wie sprachlich sei Dilettantismus verbreitet.

Leiser Spass an subtiler Provokation

Der 1957 geborene, scharfsinnige wie sensible Musikwissenschaftler, war aber auch improvisierender Kontrabassist, was auf verschiedenen CDs dokumentiert ist, spielte etwa mit Anthony Braxton, John Tchicai, Malcolm Goldstein und der Gruppe „Polwechsel“ zusammen, war Mitbegründer des Plattenlabels „True Muze“ (www.truemuze.de) und veranstaltete Konzerte. „Wilson hatte“, schreibt Christian Broeking in der Frankfurter Rundschau, „immer auch leisen Spass an der subtilen Provokation seiner Zuhörer“. Er sei nicht der laute, aufdringliche Typ eines Redners gewesen, sondern immer zurückhaltend, präzise, kompromisslos. Peter Niklas Wilson führte seit einem Jahr einen aussichtslosen Kampf gegen die Leukämie. Am 26. Oktober 2003 verstarb er, 46-jährig, in Hamburg. Seine engagierte, einzigartige Stimme wird der Musikwelt fehlen.

Johannes Anders



© JAZZ 'N' MORE - 6/2003
© Foto: Hans Kumpf



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