Johannes Anders
Musik - Journalist

COLIN VALLON

Von Johannes Anders

Colin Vallon"Seit ich Colin vor vier Jahren das erste Mal gehört habe, bin ich begeistert von seiner unerschöpflichen Abenteuerlust und Neugier, seiner souveränen und lustvollen Art, mit vollem Risiko hochsensibel zu interagieren. All das und seine reife Persönlichkeit lassen keinen Zweifel, dass wir einen grossen Musiker vor uns haben", stellt Jazzbassist und Musikerkollege Bänz Oester fest.

Colin Vallon, 1980 in Yverdon geboren, nimmt nach einer dreijährigen klassischen Ausbildung mit Vierzehn Musikstunden beim Jazzpianisten Marc Ueter. Mit achtzehn Jahren Eintritt in die Swiss Jazz School Bern. Seine Lehrer sind Silvano Bazan und später William Evans. 1999 gründet er das Colin Vallon Trio mit Lorenz Beyeler und Raphaël Pedroli, mit dem er regelmässig in der ganzen Schweiz und auch im Ausland auftritt. 2004 erscheint die CD "Les Ombres" auf Unit Records. Er gewinnt mehrere Auszeichnungen, so den Preis der Basler Friedl Wald-Stiftung 2002, den 3. Preis der Montreux Jazz Piano Solo Competition 2003 und im gleichen Jahr den 1. Preis des Nescafé-Wettbewerbs "Let’s Jazz Together". 2004 erhält er einen Kompositionauftrag von der Pro Helvetia und sein Trio war eine von drei selektionierten Gruppen für den "ZKB Jazzpreis 2004". Als Sideman spielt er unter anderem im Cyrille Bugnon Quartet, Sascha Schönhaus Express, Daniel Schläppi Dimensions … Auftritte bei mehreren Schweizer sowie Internationalen Festivals (Bern, Cully, Montreux, Langnau, Cannes, Dubai …).


HONEYSUCKLE ROSE (Fats Waller, comp. 1929):

1 .)  FATS WALLER & HIS RHYTHM (1904-1943):

("Honeysuckle Rose", rec. 1929. FATS WALLER, p, Bill Coleman, tp, Gene Sedric, cl, ts, Al Casey, g, Billy Taylor Sr., b, Harry Dial, dr. 2CD-Sanctuary Records).

2.)  EARL HINES (1903-1983):

("Piano Solos", rec. 1974. EARL HINES, p. RCA-LP).

3.)  ERROLL GARNER TRIO (1921-1977):

(rec. 1951. ERROLL GARNER, p,  John Simmons, b, Shadow Wilson, dr. Columbia-45EP).

4.)  OSCAR PETERSON TRIO (*1925):

("at Zardis – Never Before Released!", rec. 1955. OSCAR PETERSON, p, Ray Brown, b, Herb Ellis, g. Pablo-2CD).

5.)  SUN RA (1914-1993):

("St. Louis Blues Solo Piano", rec. 1977. SUN RA, p. IAI Records-LP).  

6.) JEAN-MICHEL PILC TRIO (*1960):

("Together – Live at Sweet Basil", rec. 2000. JEAN-MICHEL PILC, p, François Moutin, b, Ari Hoenig, dr. A Records-CD).

CV: Das erste Beispiel war eine Orginalversion von Fats Waller. Sehr gut finde ich bei seinem Spiel den Witz und Humor, die melodischen Ideen und seinen kristallklaren Anschlag. Den zweiten Pianisten erkenne ich nicht, er erinnert mich etwas an Ray Charles. Schön sein dichtes Spiel und die vielen Ideen, die manchmal fast zu viel sind, aber ein sehr starker, orgineller Spieler. Nummer 3 war natürlich Erroll Garner. Er arrangiert seine Stücke immer sehr klug, hat klare Ideen, arbeitet extrem mit melodischer Motivik und hat überhaupt einen unglaublichen melodischen Sinn. Und alles hat bei ihm einen wahnsinnigen Swing. Dann in 4 das Oscar Peterson Trio mit Herb Ellis und Ray Brown; was soll man da noch sagen … Grossartig die Linien, der Swing, seine Technik. Diese Art Piano-Trio, wo also der Gitarrist auch als Schlagzeuger fungiert, gefällt mir besonders. Peterson ist ja auch ein hervorragender Begleiter, zum Beispiel bei den "Ella & Louis"-Aufnahmen: er spielt viele Noten und Linien, aber es tönt nie nach overplay … Was mich beim fünften Beispiel sehr beeindruckt ist, wie er dieses eigentlich fröhliche Stück mit dunklen Klängen grundiert. Faszinierend die dabei entstehenden Kontraste zwischen diesen finsteren, modernen, mit abstraktem Spiel erzeugten Klängen und den traditionellen bis zum Stride-Piano zurückreichenden Bezügen. Das ist jemand, der weiss, was er macht, der Klangmöglichkeiten dramaturgisch bewusst einsetzt. Und zum Schluss in 6 spielte ganz klar das Jean-Michel Pilc Trio. Ich habe das Trio mehrmals in New York gehört. Die Aufnahmen dieser CD, die ich auch habe, gefallen mir besser, als seine Live-Auftritte, wo er die Tendenz hat, viel zu viel zu spielen, was dann überladen wirkt. Aber er ist ein sehr witziger Typ, auch in seinem Spiel und die Rhythmusgruppe agiert phantastisch.


KEITH JARRETT TRIO (*1945):

MOVING SOON ("Somewhere Before", rec. 1968. KEITH JARRETT, p, Charlie Haden, b, Paul Motian, dr. Vortex-LP).

CV: Paul Motian am Schlagzeug und Charlie Haden am Bass? Am Anfang dachte ich zuerst an ein wildes Stück von Paul Bley, vom Klang und der Technik her … Aber dann kamen die typischen kurzen Schreie und da war klar, dass es Keith Jarrett ist. Diese wilde Seite von ihm gefällt mir sehr, er lässt sich hier völlig gehen im Gegensatz zu späteren Aufnahmen, wo alles kontrolliert ist. Irgendwo muss ich diese Platte finden! Ob es sie auf CD gibt ? Ich habe die andere Platte aus dieser Zeit – "Life Between the Exit Signs"  – , wo er teilweise auch etwas wild spielt, aber nicht so stark wie hier (JA: … seine erste Trio-Platte ist ebenfalls auf Vortex).


CHICK COREA / DAVID HOLLAND / BARRY ALTSCHUL (*1941/*1946/*1943):

NEFERTITTI ("A.R.C", rec. 1971. CHICK COREA, p, D. Holland, b, B. Altschul, dr. ECM-LP).

CV: Chick Corea ! – mit Dave Holland und Barry Altschul. Die Intensität nimmt einem fast den Atem, jeder spielt extrem viel und bringt viele verschiedene Ideen ein. Es stört mich jedoch, dass es nur sehr wenig Raum gibt. Schön ist, dass es zuerst swingt, dann beginnt, sich zu öffnen und wilder zu werden; dass es bis zum Schluss hektisch bleibt, finde jedoch nicht so gut. Aber ich bin beeindruckt von Coreas Spiel, seiner grossen Kenntnis, seinen vielen Klangmöglichkeiten …; er hat wirklich eine eigene musikalische Sprache entwickelt. Ich bin allerdings kein grosser Fan von ihm. Wenn man weiss, wie Miles Davis das "Nefertitti" spielt, finde ich es schade, dass dieses schöne Thema hier kaum mehr zu erkennen ist. Dieses freie Spiel ist schon sehr wichtig und auch die dabei entstehende, unglaubliche Spannung, aber dass es bis zum Schluss keine Auflösung gibt …


CHARLES IVES (1874-1954):

"CONCORD, MASS., 1840-1860", SONATE FÜR KLAVIER NO. 2, 1909/10 ("CONCORD-SONATE", Auszug aus 2. Satz, rec. 1978. HERBERT HENCK, p. WERGO-LP).

CV: Sehr schön, vom musikalischen Ansatz her sehr abstrakt, aber es ist extrem konkret, erzählt eine Geschichte und man macht mit der Musik eine Reise; gefühlsmässig entsteht ein grosser Bogen - pianistisch unglaublich gespielt!  


MAL WALDRON (1926-2002):

1 – 3 – 234 ("Free At Last", rec. 1969. MAL WALDRON, p, Isla Eckinger, b, Clarence Becton, dr. ECM-CD).

CV: Die Rhythm Section spielt straight ahead, während der Pianist das Tempo etwas auseinander zieht; an der thematischen Idee hält er jedoch sehr lange fest. (Nach Bekanntgabe:) Ah, das ist von der ersten ECM-Platte "Free At Last", von der ich viel gehört habe. Von Mal Waldron habe ich eine Duo-Platte mit Steve Lacy, kenne ihn aber ansonsten leider kaum.


FRÉDÉRIC CHOPIN / GRIGORY SOKOLOV (1810-1849 / *1950):  

ETUDES OP: 25, NO. 12 ("Chopin France", rec. 1985. GRIGORY SOKOLOV, p. OPUS111-CD).

CV: Ist das Rachmaninow oder Chopin? So grandios! …, ist auch gut zum Schauen, was man auf dem Klavier alles machen kann, welche Möglichkeiten es gibt. Im Moment liebe ich Romantik sehr, kenne aber von Chopin nur eine Etüde aus dem Opus 10 (spielt einige Töne daraus auf dem Klavier). JA: Ist die Romantik für Dich eine Art Inspirationsquelle? CV: Ja natürlich.


BRAD MEHLDAU (*1970):

1.) PEACE ("Consenting Adults", rec. 1994. BRAD MEHLDAU, p, Mark Turner, ts. Crisscross-CD).

2.) AFTER GLOW (gleiche CD, rec. 1994. BRAD MEHLDAU, p, Larry Grenadier, b, Leon Parker, dr).

3.) LEE KONITZ (*1927):

ALL OF US ("Another Shade Of Blue", rec. 1997. BRAD MEHLDAU, p, Charlie Haden, b, Duo-Teil ohne Konitz. Blue Note-CD).

CV: Beim ersten Beispiel hat Mark Turner gespielt. JA: Woran hast Du ihn erkannt? CV: Am Sound und wie er hoch geht, aber auch an seinen Strukturen, seiner Harmonik … War der Pianist Brad Mehldau ? Unglaublich. Das Trio in Beispiel 2 erkenne ich nicht, vielleicht war es aber auch Mehldau ? Hörte da allerhand Herbie Hancock und Keith Jarrett … Beim dritten Beispiel habe ich ihn sofort erkannt, wird sicher auch eine spätere Aufnahme sein, mit deutlich perkussiverem Sound; Mehldau ist rhythmisch unglaublich genau. Die zwei ersten Aufnahmen fand ich mit ihrem romantischen Charakter sehr berührend. Früher spielte er mit mehr Romantik und Traditionsbezogenheit, heute ist er minimalistischer, gibt mehr Raum, spielt fast ohne Pedal und in den Balladen lässt er viel Platz.  


JIMMY GIUFFRE 3 (*1921):

CARLA ("Emphasis, Stuttgart 1961". J. Giuffre, cl, PAUL BLEY, p, Stve Swallow, b. hatART-CD).

CV: Paul Bley, Steve Swallow, Jimmy Giuffre! - ein Blues, aber völlig verfremdet. Wunderbar, wie Giuffre das Paul-Bley-Solo begleitet, überhaupt ein unglaubliches Zusammenspiel und die verschiedenen Farben, mit denen Steve Swallow  grundiert …


SIMON NABATOV (*1959):

FLOW CHART ("Perpetuum Immobile", rec. 2000. SIMON NABATOV, solo piano live. Leo Records-CD).

CV: Whow! - unglaubliche Technik, klingt am Anfang fast wie geschriebene Neue Musik. Interessant dabei, dass man trotz der Chromatik und den abstrakten Improvisationen doch ein bestimmtes, durchdachtes und unterscheidbares Konzept erkennen kann, obwohl es keine prägnanten rhythmischen oder melodischen Strukturen gibt. Erst gegen Ende kommen dann einige Blueslicks usw. (Nach Bekanntgabe:) Ich habe eine Duo-CD von Nabatov und Nils Wogram, wo man spürt, dass beide auch einen starken klassischen Background haben. Ich würde ihn gern einmal live hören.


HARRISON BIRTWISTLE (*1934):

EARTH DANCES – 1985/86 ("Theseus Game – Earth Dances**", Auszug, rec. 2001**. Ensemble Modern Orchestra, Pierre Boulez, Leitg. Universal-CD).

CV: (… ist etwas konsterniert:) Das erzeugt bei mir eine sehr starke Reaktion, ein Gefühl von grosser Unruhe, die mir den Atem verschlägt, mich fast abschnürt, mit dieser extremen Spannung fast überwältigt. JA: Birtwistle gilt als wichtigster zeitgenössischer Komponist Englands. Bei kaum einem anderen kommen die Spannungen zwischen Ordnung und Chaos so dramatisch zum Ausdruck wie bei ihm.  Beim noch bis zum 18. September 2004 laufenden Lucerne Festival "Freiheit" ist er Composer-in-Residence". Unter den 17 aufgeführten Werken ist auch "Earth Dances" (Do., 16. September, 19.30 Uhr, KKL, Lucerne Festival Academy Orchestra unter Pierre Boulez).


MICHEL PETRUCCIANI (1962-1999):

MANHATTAN ("Marvellous", rec. 1994. MICHEL PETRUCCIANI, p, Dave Holland, b, Tony Williams, dr, Graffiti String Quartet. Dreyfus Jazz-CD).

CV: Das war Petrucciani mit einem Streichquartett, ein Spieler, der sich voll verausgabt, der "grosszügig" und mit riesiger Spielfreude alles investiert, Spontaneität, Sound, Energie und Brillianz, einer, der nie dunkel spielt. Aber es ist schwer, ein Streichquarett so in ein Jazztrio zu integrieren, dass es gut passt. Nicht alles auf dieser CD überzeugt in dieser Hinsicht. 


WAYNE SHORTER + HERBIE HANCOCK (*1933/*1940):

DIANA (" 1 + 1 ", rec. 1997. W. Shorter, ss, HERBIE HANCOCK, p. Verve-CD).

CV: Shorter und Hancock! Es fährt mir jeweils gewaltig unter die Haut, wenn ich Wayner Shorter höre -  diese melodischen Linien, das flüssige Spiel, diese Intensität auch bei ganz einfachen Melodien … Die beiden kennen sich schon seit langem und doch klingt das hier nie routiniert. Diese Aufnahmen sind ein Schmuckstück auf höchstem musikalischen Niveau, es "tötet" mich jedes Mal ...


JASON MORAN (*1975):

GANGSTERISM ON STAGES ("The Bandwagon", rec. 2002. JASON MORAN, p, Tarus Mateen, b, Nasheet Waits, dr. Blue Note-CD).

CV: Jason Moran mit "Gangsterism …", kannte ihn schon, bevor man in Europa auf ihn aufmerksam wurde. Ich schätze sein wildes, freies Spiel, bei dem trotzdem die Tradition spürbar bleibt. Er studierte ja bei Andrew Hill und Jaki Byard. Moran hat viel Sinn für Dramaturgie, allerdings sind ihm Energieströme wichtiger, als ein harmonisches Konzept. Nasheet Waits ist derzeit einer meiner Lieblingsdrummer.


FEIGENWINTER* / OESTER / PFAMMATTER (*1965):

AU PRIVAVE ("Because  You Knew", rec. 2002. HANS FEIGENWINTER, p, B. Oester, b, N. Pfammatter, dr. EmArcy Universal-CD).

CV: Das ist Feigenwinter, habe die Aufnahmen bei Bänz schon lange vor der Veröffentlichung gehört. Unglaublich der Typ, hat wirklich eine eigene Sprache entwickelt, entfernt sich hier ziemlich von der Bebop-Sprache und den typischen Phrasen. Was er macht, ist sehr kreativ, auch wie er mit superschönem Bogen das Solo entwickelt. Und die kontrapunktischen Sachen mit der linken Hand wie das auch Brad Mehldau macht ... Die CD muss ich mir unbedingt kaufen, habe Hans Feigenwinters Spiel sehr sehr gern!


MARTHA ARGERICH (*1941) / SERGEI PROKOFIEV (1891-1953):

PIANO SONATA NO. 7 IN B FLAT, OP.83, 3. SATZ ("Live From The Concertgebouw 1978 & 1979", Martha Argerich, p. EMI Classics-CD).

CV: Super, wie das Rhythmische herausgearbeitet wurde, schön die Klangfarben, das ostinato-ähnliche Motiv, das fast hypnotisierend wirkt …

Colin, ganz herzlichen Dank für Deinen Besuch in Nürensdorf.


 

    

© JAZZ 'N' MORE Nr.5/2004
© Foto: Peewee Windmüller



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