Johannes Anders
Musik - Journalist

MICHAEL ARBENZ

Von Johannes Anders

Michael Arbenz"Michael Arbenz is one of the few young creative musicians who has the talent and capacity to make concrete his musical artistic visions. He is a real soldier on the music scene battlefield. And it must be said that he has the highest respect for the music and the musicians with whom he performs with, which is a very rare quality indeed !"GLENN FERRIS

Geboren 1975 in Basel, Studium bei Jürg Wyttenbach in Basel und Prof. James Avery in Freiburg i. Br. Piano-Solorezitals mit Schwerpunkt Werke des 20. Jh. und Solist mit diversen Orchestern, Mitwirkung an Konzerten mit dem Ensemble Contrechamps, dem Ensemble Phönix, dem Ensemble für Neue Musik Zürich, dem Basler Schlagzeug Ensemble, sowie unter Paul Sacher, Pierre Boulez, Jürg Wyttenbach, Heinz Holliger, Pascal Rophé, Hans Zender, u.a. Realisierung zahlreicher Uraufführungen, u.a. von Detlev Müller-Siemens, Jacques Wildberger, Daniel Almada, Yosvany Quintero und Michel Roth. Leader verschiedener Jazz-Ensembles, die Konzerte in ganz Europa gaben und mehrere CDs aufnahmen. Zu seinen Gruppen gehören international renommierte Musiker wie Greg Osby, Wolfgang Puschnig, Glenn Ferris, Muneer B. Fennell, Kent Carter, Michel Benita, Matthieu Michel und Marc Johnson. CDs als Leader beim Berliner Label META Records: "SO …!" (New Jazz Trio feat. Glenn Ferris, Matthieu Michel und Carlo Schöb), "New Delegation" (Michael Arbenz p, Glenn Ferris, tb, Marc Johnson, b),  „Intuition“ (New Connexion, feat. Greg Osby), „AMP Stringency – Universe of AMP" (M. Arbenz, p, Florian Arbenz, dr, Thomas Lähns, b, String Quartet). www.universe-of-amp.com


ART TATUM (1906-1956):

TIGER RAG ("Piano Starts Here", rec. 1933. ART TATUM, piano solo, first recordings. Hall Of Fame Series/Columbia-LP).

MA: Ganz klar Art Tatum, genial, ein Jahrtausendpianst, bis heute unerreicht in seiner Art, zu spielen, technisch wie musikalisch. Komplett im Solospiel, klingt wie ein ganzes Orchester. Braucht sehr wenig Modelle, seine Linien sind jedes Mal anders. Wird wie etwa seine Zeitgenossen Fats Waller oder Earl Hines von Jüngeren viel zu wenig studiert, obwohl es sich sehr lohnt, sich damit zu befassen.


PIERRE BOULEZ / PIERRE-LAURENT AIMARD ( *1925 / *1957):

NOTATIONS I – XII – 1945 ("PIERRE BOULEZ", rec. 1995. PIERRE-LAURENT AIMARD, p. DG-CD).

MA: Das waren die Douze Notations von Boulez und ich vermute, das war Aimard; so gut kann das kaum jemand anders spielen, denn es ist unheimlich schwer und wirklich grandios gespielt. Vom Kompositorischen her ein Meisterwerk der Kurzform. Alle Stücke basieren, soweit ich mich erinnere, auf der gleichen 12-Ton-Reihe, haben aber eine Vielfalt und poetische Kraft und als ganzer Zyklus eine grosse Geschlossenheit. Aimard hat ja lange mit Boulez geschafft und ist sozusagen von ihm authorisiert. Boulez und Aimard sind zwar Kopffüssler, aber mit all der Analytik entsteht doch eine unglaubliche Poesie.


1. )   THELONIOUS MONK (1917-1982):

I MEAN YOU ("genius of modern music", rec. 1948. THELONIOUS MONK, p, Milt Jackson, vib, John Simmons, b, Shadow Wilson, dr. Blue-Note-25cm-LP).  

2.)    D.D. JACKSON ( *1967):

I MEAN YOU ("so far", rec. 1999. D.D. JACKSON, solo piano. RCA Victor/BMG Classics-CD).  

MA: Das Erste war Orginal-Monk, das Zweite – ich weiss genau, wers ist, aber der Name … Was bei Monk auffallend ist: er schafft mit einfachen Mittel und Pausen eine sehr starke Atmosphäre. Der Zweite ist zwar auch orginell, aber für mich zu überdreht, wobei erneut klar wird, dass Monk ein eigenes Universum geschaffen hat. Schon seine Stücke sind sehr schwer nachzuspielen, es ist schwierig, etwas damit zu machen, geschweige denn, wenn man probiert, sie zu imitieren. Es wäre zwar locker machbar, aber sein immanenter Spirit ist nicht imitierbar. Monk hat einen Sound, der jedem klassischen Pianisten den Schuh abzieht, aber er zeigt Möglichkeiten auf, wie man mit einem total anderen Ideal absolut geniale Musik machen kann. Zudem ist er einer der ersten und wenigen Pianisten, der einen eigenen Sound rein anschlagstechnisch kreiert hat. Er ist ein Meister des Timing und der Registerverwendung. 


CLAUDE DEBUSSY (1882-1918):

CE QU'A VU LE VENT D'OUEST – Préludes: 1er livre - 1909-10.

1.)   FRIEDRICH GULDA (1930-2000): "Debussy: 24 préludes, Band 1 und 2", rec. 1969.  FRIEDRICH GULDA, p. MPS-2LP-Box).

2.)   KRYSTIAN ZIMERMAN (*1956): "Claude Debussy – Préludes, Livre 1 + 2, rec. 1981. KRYSTIAN ZIMERMAN, p. DG-2CD-Kassette).

3.)   MAURIZIO POLLINI (* 1942): "Lucerne Festival - Maurizio Pollini - The Festival Edition 2004", rec. 1999. MAURIZIO POLLINI, p. DG-2CD-Kassette).

MA: Das ist "Ce qu'a vu le vent d'quest" von Debussy, einer meiner Lieblingskomponisten, nicht nur für Klavier. Alle drei spielen das Stück natürlich wahnsinnig gut. Unterschiede gibt es aber in der Auffassung und im Zeitrahmen. Die erste, eine wunderschöne Aufnahme, ist vermutlich, nach Aufnahmetechnik und Klaviersound zu schliessen, eine ältere Einspielung, für mich jedoch von der Klangästhetik her der Musik viel mehr entsprechend, weil die alten Instrumente viel farbiger sind, auch wenn nicht so eine Wucht und Brillanz möglich sind. Auf der 2. hört man gut wie Brillanz und Virtuosität, die Freude an der Technikdemonstration, hervorgehoben sind. Vom Klang und der Spielauffassung her gefällt mir die 3. besser. JA: Interessant ist der von dir angesprochene Zeitrahmen, auch wenn die Unterschiede nicht gravierend sind: Die erste Aufnahme dauert 3:18, die zweite 3:14 und die dritte 3:06. MA: Dass die erste, die mir am besten gefallen hat, auch die längste ist, hat sicher damit zutun, dass man sich bei einem farbiger tönenden Klavier auch mehr Zeit nimmt, es klingen zu lassen.


LENNIE TRISTANO (1919-1978):

*REQUIEM / **LINE UP ("Lennie Tristano", rec. 1955. *LENNIE TRISTANO, solo piano / **LENNIE TRISTANO, p, Peter Ind, b , Jeff Morton, dr. Atlantic-LP).

MA: Zu Titel 1: Ein Pianist aus den sechziger Jahren, vermutlich mit Playback, der hier stark von afrikanischen Rhythmen inspiriert scheint. Interessant, dass diese Bezüge auch z.B. bei Ligeti und Nancarrow auftauchen. Zu 2: Eindeutig Tristano, super, spielt wahnsinnige Lines, aber es ist auch einfacher, wenn man sich nur auf Lines fokussiert. Es ist jedoch bis ins Kleinste ausgearbeitet, stimmt bis ins letzte Detail. Für mich hat das Klavier jedoch ganz andere Dimensionen. 


ENNO POPPE (*1969):

RAD FÜR ZWEI KEYBOARDS – 2003 (Donaueschinger Musiktage 2003, Uraufführung. Benjamin Kohler + Ernst Surberg, keyb. col legno-2CD).

MA: Finde ich super, gefällt mir sehr gut, ist allerdings schwierig zu definieren, wie das zustande kam - zwei Pianisten, overdubbed …?. Jedenfalls sehr raffiniert komponiert, effektvoll im positiven Sinn, sehr verspielt, spontan, frisch wirkend - Dinge, die es in der zeitgenössischen Musik nicht oft gibt. Auch die Elektronik ist sehr gut eingesetzt, leider ein Tummelfeld von Komponisten, die sich darin flüchten, weil’s gut tönt und man viele Effektmöglichkeiten hat. Interessant hier die Berührungspunkte zur improvisierten Musik: Hier ein riesiger kompositorischer, technischer und interpretatorischer Aufwand, um das alles zu realisieren. Handkehrum Leute wie Cecil Taylor, Marilyn Crispell usw., die natürlich auch eine immense Vorarbeit geleistet haben bis zu ihrem derzeitigen Spielpotential, worin sie sich dann aber frei bewegen können, ohne jeweils monatelang eine neue Komposition lernen und einüben zu müssen. Generell gibt es nach wie vor immer noch viel zu wenig MusikerInnen, die beide Metiers beherrschen.


BUD POWELL (1924-1966):

CHEROKEE ("Jazz at Massey Hall – the amazing Bud Powell", rec. 1953. BUD POWELL, p, Charles Mingus, b, Max Roach, dr. Debut-25cm-LP).

MA: Ein unglaublicher Pianist …, ich weiss wer er ist und wie er aussieht, aber der Name kommt mir augenbkicklich nicht in den Sinn. Einer der grossen Vertreter des Bebop-Piano, hier in der klassischen Form des Klaviertrios, wie es erstaunlicherweise heute noch genauso praktiziert wird: der Pianist spielt oben seine Lines und Soli und unten machen sie Dampf, eine Rollenverteilung, die sich nach rund 50 Jahren heute totgelaufen hat. Hier hat das aber eine Energie und Frische, bei der man richtig spürt, dass das die Leute damals förmlich wegeblasen haben muss.


IANNIS XENAKIS (1922-2001):

KEQROPS FÜR KLAVIER UND 92 MUSIKER – 1986 (Lucerne Festival 2002, Auszug.  Basel Sinfonietta, Peter Rundel, Leitg., NICOLAS HODGES, p. SR DRS2, 2002).

MA: Gefällt mir sehr gut, höchster Respekt vor dem souverän agierenden Pianisten, denn solche Sachen sind wahnsinnig schwer zum Spielen. Auffallend neben einer gewissen Schwerfälligkeit die mitunter emotionale, romantische Gestik, was in der Neuen Musik meist ziemlich verpönt ist. Klanglich und von der Instrumentierung her sehr schön. (Nach Bekanntgabe:) Xenakis ist etwas vom Schwierigsten für Klavier, woran man sich Monate, ja Jahre die Zähne ausbeissen kann, um es zu lernen …    


ERIC WATSON – CHRISTOPH LAUER QUARTET (*1955 / *1953):

ROAD MOVIES ("Road Movies", rec. 2003. ERIC WATSON, p, C. Lauer, sax, C. Tchamitchian, b, C. Marguet, dr. ACT-CD).

MA: Nach-Coltrane-Musik, kompositorisch intellektuell angereichert – Mega-Thema, gut durchdacht. Doch dann kommen wie so oft heute und was ich schade finde, die modalen Improvisationen, die irgend etwas sein können, z.B. von einem anderen Stück. Ein Thema sollte ja Entwicklungsmöglichkeiten bieten, bestimmte Stellen offen lassen … Wenn schon alles definiert ist, haben die Spieler keinen Ort mehr, wo sie hingehen können. Sehr guter Pianist übrigens.


 

HARRISON BIRTWISTLE / PIERRE LAURENT AIMARD ( *1934 / * 1957):

HARRISONS'S CLOCK NO. 5 – 1997/98 (Lucerne Festival 2004, Moderne 1. PIERRE-LAURENT AIMARD, p. SR DRS2, 2004).

MA: Ich höre da Inspirationen von der Populärmusik, was ja lange verpönt war; es tut aber der Neuen Musik gut, wenn es auch ab und zu groovt, auch wenn der Pianist wenig Sinn für Groove zu haben scheint. Der Komponist gehört sicher zur Gilde Ligeti usw. (Nach Bekanntgabe:) Birtwistle ist ein Komponist, der der Szene sehr gut tut – sehr erfrischend, eine gute Erscheinung. Und seine Musik hat eine riesige Energie wie sie nur wenige haben.


GREG OSBY ( *1960):

THE KEEP ("Symbols Of Light – A Solution", rec. 2001. G. Osby, sax, JASON MORAN, p, Scott Colley, b, Marlon Browden. dr, & String Quartet. EMI – CD).

MA: Klar, Greg Osby mit seiner Streichquartett-CD, einer der grossen heutigen Meister seines Instruments wie auch der hier mitspielende Pianist Jason Moran, der genau das macht, was ich bei vielen anderen vermisse: Das Klavier als polyphones, orchestrales Instrument einsetzen und auch Inspirationen von alten Pianisten nicht ausschliessen. Der Einsatz eines Streichquartetts im Jazzkontext, das hier schon sehr gut agiert, ist generell deshalb ein Problem, weil die Veranstalter nicht bereit sind, solche Sachen zu bringen und zu pushen, und ohne Konzerte kann das vorhandene, grosse Potential, das drin steckt, nicht weiterentwickelt werden. Dazu kommt, dass es nach wie vor schwierig ist, gute klassisch ausgebildete Streicher zu finden, die auch improvisieren und swingen können.   


SAVINA YANNATOU:

WITH THE MOON I AM WALKING , IVAN NADÕNKA DÚMASHE ("Savina Yannatou & Primavera en Salonico – Terry Nostra", rec. 2001. Savina Yannatou, voc, + Ensemble. ECM-CD):

MA: Wunderschön! - die Frau hat eine wunderbare Stimme. Weil die Musik offensichtlich direkt auf Volksmusik basiert, hat sie Musik Kraft und Unmittelbarkeit. Und weil sie im besten Sinne ungekünstelt ist, hat sie die Energie und das Potential, die Leute zu berühren. Vor allem in der klassischen oder Neuen Musik sollte man aufpassen, dass das vor lauter Strukturdenken und Intellektualität nicht verloren geht, denn es geht um die Aussagekraft, die direkt aus der Seele kommt. JA: Die Sängerin und Leiterin des Orchesters, in dem übrigens auch jazzgewohnte Improvisatoren mitwirken, ist Griechin, heisst Savina Yannatou und verfügt über ein Gesangsspektrum von der Gegenwart bis zur Barock- und Renaissance-Musik. Ich habe die beiden Stücke deswegen gespielt, weil Savina Yannatou das kommende "Unerhört"-Festival in der Roten Fabrik (26. + 27. November) eröffnen wird und zwar im Duo mit Bassist Barry Guy !   

 

Michael, ganz herzlichen Dank für Deinen Besuch.

 

P.S.: Am 22. November 2004, 20 Uhr, findet im Gare Du Nord in Basel ein aussergewöhnliches Konzert statt mit dem Michael Arbenz Quartett, feat. Greg Osby, einem Streichquartett und dem AMP Stringency Orchestra, das Arbenz selbst organisiert hat. 


 

 

© JAZZ 'N' MORE Nr.6/2004
© Foto: Peewee Windmüller



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