Johannes Anders
Musik - Journalist

B É A T R I C E   G R A F

Text und Fotos: Johannes Anders

Béatrice GrafBéatrice Graf (dr./ comp./ texts), geb.1964 in Nyon, Bauernfamilie. Fängt mit 16 an Schlagzeug zu spielen. Workshops am AMR (Genf) und mit J. DeJohnette, H. Bennink, P. Erskine. « Neugierig, fidel und fresh ». B.G.-Interessen: Jazz, Rock, Instant composing, Electro, aktuelle Musik, Multimedia Performance. Aktuell: Quartier lointain (M. Wintsch & C. Moulas / Unit ), 2 Ailes (Altrisuoni), "Intercity" (u.a. mit B. Amstad, R. Suhner, G. Perret, S. Payot, H. Provini), Soloauftritte. Four Roses ( Altrisuoni), Beat & Lip (Altrisuoni), P. Schärli special sextet feat. G. Ferris (Enja). Weltweite Tourneen. Festivals: Moscow, Hardford, Willisau, Slany, Brugges, Bogota, La Paz, AMR, Wien, La Bâtie, Madajazzcar, Cape Town, Int. de Franche-Comté, Berlin, München, Sargans, Crest Jazz Vocal , CCSC Milano, La Cité, Rock os Arènes. Spielte bzw. spielt u.a. mit J. Zollar, T. Varner, J. Demierre, N. & G. Maret, H. Feigenwinter, O. Talmor, S. Courvoisier, Amampondo, Neba Solo, Orchestre National du Sénégal, D. & M. Brubeck, H. Kappes ( CD), P. Aerts, J.-L. Bideau, E. Truffaz, V. Vonlanthen, No techno dance (Unit), D. Daudsjah, A. Fischbacher. 1997: Kompositionsauftrag von Pro Helvetia. Im Vorstand des SMS (Schweizer Musik Syndikat).


MAX ROACH & ANTHONY BRAXTON:

ON IN TWO - TWO IN ONE ("Max Roach & Anthony Braxton - one in two - two in one",  rec. live Jazzfestival Willisau 1979, Auszug. Max Roach, dr, Anthony Braxton, saxes. hat Art-CD).

BG: Am Anfang dachte ich kurz an Ornette, dann war klar, dass er es nicht ist, ist aber jemand, der ihn gehört hat. Beim Schlagzeuger kamen mir zwei Namen in den Sinn: Hamid Dake und Dieter Ulrich - keiner von beiden? - ok. Das Duo hat eine gute Energie; sie gehen jedoch nicht hundertprozentig in die gleiche Richtung,  könnten besser zusammen sein. Beim Schlagzeuger hört man, dass er seine Licks hat …  


SYLVIE COURVOISIER - JOËLLE LÉANDRE - SUSIE IBARRA:

TAKTLOS 3 ("passaggio", rec. live Taktlos Festival 2001, Auszug. S. Courvoisier, p, Joëlle Léandre, b, Susie Ibarra, dr. INTAKT-CD).

Béatrice GrafBG: Eine Live-Aufnahme, gefällt mir gut, die Mischung des Sound, die Piano-Schlagzeug-Intro am Anfang mit dem eigenartigen Schlagzeug, das ab und zu ganz wild, dann wieder zurückhaltend gespielt wird… Auch das ist frei improvisiert, aber gut gelungen. Zuerst vermutete ich irgend ein Duo mit Irène, aber dann kam der Bass … Wer ists? Diese wilde Mischung finde ich sehr gut und Joëlle ist super.


PIERRE BOULEZ (*1925):

SUR INCISES POUR TROIS PIANOS, TROIS HARPES, TROIS PERCUSSION-CLAVIERS / 1996/1998 ("Boulez: Sur Incises", rec.1999, Auszug. Soloists of the Ensemble Intercontemporain, Leitg. Pierre Boulez. DG-CD).

BG: Das könnte aus den 30-er, 40-er Jahren stammen, nein? JA: Von 1996/98! BG: Für mich tönt das älter. Ist eine ziemlich kompakte Sache mit ähnlichen Sounds - Klavier plus Percussion - mit diesen Wellen … Eigentlich habe ich lieber sparsamere Musik. Ist aber super komponiert und mit hervorragenden Musikern. Ab und zu gehe ich in derartige Konzerte, weil ich diese Musik lieber live höre.


TRIO 3 / OLIVER LAKE / REGGIE WORKMAN / ANDREW CYRILLE:

GIVEN - THE WHIRLWIND ("Time Being", rec. 2005 N.Y. O. Lake, saxes, R. Workman, b, A. Cyrille, dr. INTAKT-CD).

Béatrice GrafBG: Ich glaube, den Schlagzeuger zu kennen; er verfügt über den Bebop-"Wortschatz", das wurde wahrscheinlich ohne viele Üben aufgenommen, wirkt irgendwie minimalistisch, scheint aus New York zu kommen; ich habe den Eindruck, ÄhnIiches schon vor vielen Jahren gehört zu haben, wo das spannender klang, gefällt mir nicht so. 


KEITH JARRETT / GARY PEACOCK / JACK DE JOHNETTE:

I LOVE YOU ("The Out-of-Towners", rec. live 2001, Auszug. K. Jarrett, p, G. Peacock, b, J. DeJohnette, dr. ECM-CD).

BG: Das ist das Keith Jarrett Trio mit Jack DeJohnette; super das Drum-Solo, beginnt mit einfacher Idee, gleichbleibendes Tempo, Strukturaufbau, dynamische Wellen, bleibt immer sparsam - grossartig! Als ich jung war, hab ich das Trio stundenlang gehört. Jack ist auch als Mensch eine tolle Person, habe mal einen Workshop mit ihm gemacht, da sagte er zu mir: "You have the spirit", und, im Englischen damals noch nicht so erfahren, antwortete ich naiv: "You too", was ihn amüsierte.


LES PERCUSSIONS DE STRASBOURG:

KRYPTOGRAMMA, 1979 - GEORGES APERGHIS *1945 ("East Meets West", Auszüge, rec. 1972. Pentatone Classics-SACD).

Béatrice GrafBG: Scheint alles ausgeschrieben zu sein; interessante Stimmung, wenn plötzlich Gesang dazukommt, schön auch der Einsatz der Kastagnetten; ist zeitgenössische Musik mit einem dieser bekannten Percussions-Ensembles wie z.B. Les Percussions de Strassbourg …


TONY WILLIAMS QUINTET:

BIRDLIKE ("The Story Of Neptune", rec. 1991. Wallace Roney, tp, Bill Pierce, sax, Mulgrew Miller, p, Ira Coleman, b, T. Williams, dr. Blue Note-CD).

BG: Wow, der Schlagzeuger beherrscht sein Instrument - ein Powerplayer, Charleston auf jedem Taktteil, Double mit Bass-Drum-Pedal und man hört viele Rockeinflüsse - eine vielleicht 20 Jahre alte Aufnahme; ist vermutlich ein Amerikaner mit grossen Muskeln - ein Spiel, das damals so oft imitiert wurde, sodass man manchmal gar nicht mehr wusste, ob es das Original oder eine perfekte Kopie ist. Ich interessiere mich dagegen eher für die innere Bedeutung des Spiels. Wer ists? Es gibt ein Miles-Konzert vom Dezember 1964, glaube ich, da spielt Tony Williams ganz toll.  


KIM KASHKASHIAN - ROBYN SCHULKOWSKY:

REDWOOD - PAUL CHIHARA *1938 ("Shostakovich, Chihara, Bouchard", rec. 1990, Auszug. R. Schukowsky, perc, K. Kashkashian, viola. ECM New Series-CD).

BG: Interessante Musik, auch hier ist alles geschrieben und es sind Topmusiker; aber ab und zu fehlen mir Leerstellen, Zwischenräume. Je länger jedoch das Stück lief, desto mehr gefiel es mir. JA: Ich habe immer mal wieder Beispiele mit einer Schlagzeugerin ausgewählt, wobei ich allerdings nicht glaube, dass es typisch weibliches Schlagzeugspiel gibt. BG: Keinesfalls, so etwas existiert nur in Männerköpfen …


WINTSCH / WEBER / WOLFARTH:

THE LATTER HALF OF A CENTURY ("WWW", rec. 2006. Michel Wintsch, p, Christian Weber, b, Christian Wolfarth, dr. LEO Records-CD).

BG: Ich glaube ich kenne die Gruppe, es ist frei improvisierte Musik mit einigen Fixpunkten. - eine ziemlich neue Aufnahme, bei der mein Béatrice GrafMitspieler Michel Wintsch dabei ist. Beim Bassisten musste ich erst hören, ob es der Bänz ist - war es nicht und Gerry Hemingway war es auch nicht, also konnte es nur von der neuen CD "WWW" sein, die ich einmal gehört habe und hier vor allem wegen dem "angetunten" Schlagzeug mit seinem speziellen Snare- und Bass-Drum-Sound erkannt habe, wie er für Christian Wolfarth typisch ist.


SWR SINFONIEORCHESTER / MICHAEL GIELEN:

MUSIC FOR STRINGS, PERCUSSION AND CELESTA / 1936 / BÉLA BARTÓK 1881-1945 ("Michael Gielen conducts Béla Bartók", rec. 2004, Auszug. SWR>>Music / Hänssler Classic-CD).

BG: Das ist super, gefällt mir sehr, eine Musik, die ich kenne ohne sie zu kennen. Es hat Leben und es passiert viel, es gibt Veränderungen, ist differenziert und nie zu voll. Von wem ist das und aus welcher Zeit? Bartok 1935 - offensichtlich eine Zeit, in der balkanische und orientalische Einflüsse eine Rolle spielten, wie es auch beim Jazz derartige Perioden gab. Eine spannende Musik, die ich gern auch zuhause hören würde (fragt nach der CD). 


KOCH - SCHÜTZ - STUDER:

9/10 - 9/11 ("Tales From 30 Unintentional Nights", rec. 2005, Auszüge. Hans Koch, reeds, electr., Martin Schütz, electric 5-string cello, electr., Fredy Studer, dr, perc. INTAKT-CD).

Béatrice GrafBG: Das kommt mir sehr bekannt vor; am Sound merkt man, dass es eine Live-Aufnahme ist, mit sehr präsenter Elektronik und einem Rockschlagzeuger - eine ziemlich extreme, anstrengende Musik, manchmal hart an der Schmerzgrenze, die ich auch lieber live als zuhause hören möchte. Sind das E-Gitarren-Sounds? Nein - von einem Cello? - dann weiss ich wer das ist: Koch - Schütz - Studer, eine der wichtigsten Gruppen Europas - Superleute, auch menschlich, und Koch und Schütz sind ja der Kern der neuen Bieler Szene.


ART ENSEMBLE OF CHICAGO:

CHARLIE M ("Selected Recordings", rec. 1980, Auszug. AEOC, Don Moye, dr. ECM-CD).

BG: Das Art Ensemble of Chicago mit Lester Bowie, die habe ich schon als Teenager mehrmals live gehört - ein wichtiger Teil meiner Liebe zum Jazz und eine der wichtigsten Gruppen des Jazz.


TRILOK GURTU / ZAKIR HUSSAIN:

GREETINGS ("Trilok Gurtu - Remembrance", rec. 2002, Auszug. T. Gurtu, dr, tabla, perc, Z.

Hussain, tabla. Universal-CD).

BG: Ist das Trilok? - stark, das lerne ich seit 10 Jahren; indische Musik ist spannend - ich habe Trilok mal im Trio mit John McLaughlin gehört. Diese Aufnahme hier klingt, als ob nicht alles gleichzeitig aufgenommen ist - doch ? Aha, da ist ein zweiter Spieler dabei … Jedes Jahr ist bei mir im Haus ein indischer Tänzer und Tablaspieler zu Gast, der mir einige dieser Talas (JA: zyklisch wiederholte rhythmische Strukturen) gezeigt hat; ich habe dann einige Stücke komponiert, in denen ich Strukturen dieser Talas verwendet habe. Indische Musik ist eine der grössten rhythmischen Entwicklungen der Musik überhaupt und am liebsten höre ich auch richtige ethnische Musik und nicht World Music … Aber was Trilok hier macht, ist super.


JIM BLACK QUARTET:

MM ("Jim Black - Alasnoaxis", rec. 2000. J. Black, dr, Hilmar Jensson, e-g, Chris Speed, ts, cl, Skuli Sverrisson, e-b. Winter&Winter-CD).

Béatrice GrafBG: Scheinen jüngere Musiker so um die 40 zu sein, die alles gehört haben, Hardcore, Grunge, natürlich Jazz …, es ist eine Mischung aus all dem. Könnte "Alasnoaxis" mit Jim Black sein. Er ist ein Super-Schlagzeuger, eine Art Sohn von Joey Baron, so wie viele Gitarristen wie dieser hier nach Bill Frisell klingen. Jim Black kommt demnächst nach Genf und hält hier einen Workshop, den ich besuchen möchte. Er gehört zur Gruppe Schlagzeuger, die im Gegensatz zur Power-, Muskel- und Lautstärkewelle der Achtziger den Spirit haben, auch leise zu spielen, weich zu spielen, ein Looser zu sein, eine eigene Mischung zu machen; sie gehen damit der Tendenz aus dem Wege, dass immer mehr zu laut spielende Schlagzeuger mit der Zeit taub werden, sofern sie sich nicht schützen. Aber das ist immer noch ein Tabuthema, darüber wird nicht gesprochen. Mit diesem Problem sind übrigens auch Musiker klassischer Orchester konfrontiert.


MICHEL PETRUCCIANI / GARY PEACOCK / ROY HAYNES:

SHE DID IT AGAIN ("Michel Petrucciani Trio live at Estival Jazz Lugano 1988", Auszug. M. Petrucciani, p, G. Peacock, b, R. Haynes, dr. Aufn. RSI).

BG: Der Schlagzeuger spielt wahnsinnig, ist kreativ, groovt unheimlich, hält den Rhythmus - ist eine Mischung aus relax und feurig, wer ist denn das? Roy Haynes? - der ist unglaublich, schon am Anfang ist er hundertprozentig drin. Der Pianist ist für mich ein bisschen weniger interessant, er wirkt hier so, als ob er nicht wirklich weiss, wo er hingehen will, aber er ist ein sehr guter Spieler!



© JAZZ 'N' MORE Nr. 1/2007
Fotos © Johannes Anders 

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