Johannes Anders
Musik - Journalist

DOROTHEA SCHÜRCH

Text von Johannes Anders


Dorothea Schuerch 1Die Zürcher Sängerin Dorothea Schürch machte in den 80er Jahren erstmals im Rahmen der Zürcher WIM (Werkstatt für improvisierte Musik) auf sich aufmerksam. Ihre vielseitige, ideenreich-impulsive Arbeit in der Improvisierten Musik, im Performance- und Theaterbereich wie in der Neuen Musik machte sie inzwischen auch auf internationaler Szene zu einer gefragten Vokalistin und Performerin. Auftritte an verschiedenen Festivals wie Workshop Free Music Berlin, Taktlos Zürich, Festival de la Bâtie Genève, Ulrichsberger Kaleidophon, Jazz Festival Willisau, Schaffhauser Jazzfestval, Experimental Festival Kopenhagen, Canaille Frankfurt,  London Jazz Festival, Total Music Meeting Berlin, Wien Modern (mit Salvatore Sciarrinos "Lohengrin"), Concepts of Doing – Interaction Tanz und Musik mit Salome Schneebeli in Stuttgart und soeben auch in Köln. Stipendium des Migros Genossenschafts-Bundes und auf Schloss Solitude. Zusamenarbeit mit dem „King Übü Orchestrü“, dem Ensemble Opera Nova Zürich, mit Jacques Demierre in „Des Indes à la Planète Mars“ sowie „le tout sur le tout“, mit „Dog Breath Variations“ in den USA. CD-Editionen bei Intakt, UNIT, For 4 Ears Records.

Mit ihrem neuen Trio „Chanteurs à Voix“, dem „grössten der kleinsten Salonorchester“, gibt sie unter dem Thema  „Navy Cut“  kurze Lieder, traurige Lieder, Seemannslieder: „Es haben die Matrosen, wohl auf dem weiten Meer, nicht nur die weiten Hosen, sie haben noch viel mehr“. Wenn Chanteurs à Voix spielt, „verlieren Sie das Festland aus den Augen...“. Und wenn das Herz einmal auf der Strasse liegt, „irgendwo, - in Hamburg, Schanghai oder St.Malo, so die Sängerin: „ Chanteurs à Voix spielen für Sie solange, bis Sie Ihr Herz wiedergefunden haben!“. 


LAUREN NEWTON & ANTHONY BRAXTON: „Composition 192 (for two musicians & constructed environment)“ (Ausschnitt, Leo-CD/rec. live 1996).

Dorothea Schuerch 2DS: Der erste Eindruck ist der Humor, auch das Lakonische. Das Zudienen des Saxophons, das eigentlich ihr Boden ist, karikiert sie einerseits, andererseits kommentiert sie es, - witzig. Interessant auch die Weite der Sprache, die schliesslich zu Sound wird. Ist natürlich Lauren, - mit Leimgruber ?


MARLENE DIETRICH: „Wo ist der Mann?“, rec. 1933 („Swinging Ballroom Berlin – Swing, Jazz & Sweet in historischen Orginalaufnahmen 1926 - 1943“, EmArcy-4CD-Book).

DS: (Amüsiert sich köstlich...) Da war die Marlene noch jung... (Nach Einstieg der Band:) So lässig, wie die zur Stimme dazu noch derartig viel Schub geben. Die Stimme ist ja so berühmt, aber mit dieser Band wird das noch stärker. Überhaupt toll, wie das mit dieser lasziven Stimme, die überhaupt kein Volumen hat, und dem Bandsound aufnahmetechnisch schon damals gelöst wurde, (bewundert Inhalt und Aufmachung der CD-Box).


MEREDITH MONK: „Music for Unaccompanied Voice“ („American Archeologies I“, Ausschnitt, „Frau Musica (nova)“-CD, Festival für neue Musik, Köln, WDR3 + Deutschlandradio, 1998).

DS: Total merkwürdig, manchmal fast gospelhaft; interessant zum Hören, aber es gefällt mir nicht. Scheint aus Amerika zu sein, Ecke Minimalismus, „ruech“, holzschnittartig, mit diversen Einflüssen.


SAINKHO NAMTCHYLAK: „Virtual Rituality“ (vocal solo, Ausschnitt, Festivalaufnahme/CD wie M.Monk).

Dorothea Schuerch 3DS: Ein grosses Ärgernis! Diese wunderbare Stimmtechnik mit einem derartigen Soundschleim drumherum... Ich kenne nur eine, die so Oberton singt und ich mag Sainkho sonst...


AUDREY HEPBURN: „Funny Face“ (Original Sound Track – Paramount Pictures, „How Long Has This Been Going ON“, Verve-45EP, 1957).  

DS: (Schmunzelt...) Ich kanns nicht orten, aber die da singt, muss eine Schauspielerin sein, - Filmmusik oder Musical. Schon verrückt, diese Stimmen von Schauspielerinnen, - eine Erfindung der Amis.


CATERINA VALENTE & CHET BAKER: Unbegleitetes Duo („I’ll Remember April“, Valente,voc+g, Baker, tp, Brunswick-45N, rec. 1956 Baden-Baden).

DS: (Überlegt eine Weile; nach Mitteilung, dass die Sängerin auch die Gitarre spielt:) ...die singt doch so gut, was spielt die noch Gitarre...(lacht), hat was Frisches, Spielerisches, junge Stimme...(Nach Bekanntgabe:) Ist ja nicht war !!! Das glaub ich nicht, kann ich mir nicht vorstellen ! Was haben die später aus ihr gemacht...?


ELLA FITZGERALD: Hollywood Bowl Live („Air Mail Special“, Columbia-45N, rec. 1956, with the Paul Smith Quartet).

DS: (Lacht...:) kann das nur total bewundern, so flink, so schnell, so viel Witz, riesige Leichtigkeit, wie ein Jonglieren..., schön!


BOBBY MC FERRIN: „Vocal Summit“ („Stream“, vocal solo; live at the New Jazz Meeting Baden-Baden, Moers Music-LP, rec. 1982).

Dorothea Schuerch 4DS: Am Anfang tönts, als wärs bei Dir in der Stube und dann plötzlich ist da ein riesiger Saal: Geht für mich Richtung Zirkusmusik. Eigentlich schade, dass er das in diesen heiligen Hallen aufführt, verbunden mit dieser typischen Fröhlichkeit; ist dann irgendwie schick, eben „don‘t worry be happy“...; regt mich wahnsinnig auf, dieses Umfeld.


ANNIK NOZATI: „Six séquences pour Alfred Hitchcock“ („OK“, vocal solo, Nato-LP, rec. 1984).

DS: Ich höre eine schlechte Komposition, voller Klischees, aber eine virtuose Stimme, die viel machen kann...Das Stöhnen, die merkwürdigen Sätze, die eine Spannung erzeugen...: Mir würde das eigentlich schon langen, wenn da mit dem Playback usw. nicht noch soviel dazukommen würde. Bin mit dem nicht so glücklich.


URSZULA DUDZIAK: „Future Talk“ („Future Talk“, vocal solo, Inner City-LP, rec. 1979).

DS: Wirkt mit dieser Elektronik wie moderne Mehrstimmigkeit. Die elektronische Dosis könnte aber weniger sein. Beim ersten Mal ist man total verblüfft, aber dann...Hat aber eine grosse rhythmische Kraft ! (Nach Bekanntgabe:) Ist ja nicht möglich, von 1979 ? Klingt wie von heute !


CATHY BERBERIAN sings Monteverdi („Con che soavità“, Concentus Musicus Wien, Nikolaus Harnoncourt, Teldec-CD, rec.1975).

Dorothea Schuerch 5DS: (Reagiert sofort:)  Erkenne ich beim ersten Ton, ist Cathy Berberian! Sie ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich Alte und Neue Musik nahe kommen können. Eine Sängerin, die sich mit der Tradition ebenso intensiv wie mit der Künstlichkeit auseinandergesetzt hat, die als Interpretin ein grosses Bewusstsein entwickelt hat, wie Musik entsteht, die genau weiss, was sie tut und machen kann und so auch ganz bewusst ins Experimentieren hineingehen kann. Von ihr erzählt man ja die wahnsinnigsten Bühnengeschichten, mit grossem Ernst agierend aber auch mit hintergründigem Humor Primadonnenhaftes darstellend, mit Sinn für Theatralik und Witz.


BARBARA HENDRICKS: „Tribute To Duke Ellington“ („Don’t Get Around Much Anymore“, with the Monty Alexander Trio, live at the Montreux Jazz Festival 1994, EMI Classics-CD). 

DS: Ich scheue mich etwas, das sachlich zu beurteilen; ist eine Mischung verschiedener Techniken, hat etwas Angelerntes, wirkt wie eine Dressur, was man in Verbindung mit dieser Musik überhaupt nicht hören will. Da ist keine Heimat drin...


TOTSCHNA: „Überegratuus“ („Walenki“, Orna Ralston,voc, Lukas Heuss, sax,cl,voc, Alexander Ionov, b,balalaika,voc, Oleg Lips, acc, voc, Phonag-CD, rec.1999).

DS: (Lacht, lacht, lacht...) Schon der Anfang ist so, dass man schmunzeln muss, mit einer Art Humor, der unheimlich schnell erzählt wird. Verrückt, das Quirlige, Überzogene, dann aber ists auch wieder fein gestrickt, wie Zuckerbäckerei...


KHALED: „N’ssi N’ssi“ („Kebou“, Barclay-CD, 1993).

DS: ...einfach schön, der Sprache zuzuhören, aber höchst merkwürdig, wenn die Streicher dazukommen; hat auf mich eine grosse magische Wirkung, spüre Musik aus vielen Ländern, - eine Musik, die mich erreicht, mich reinzieht, wo ich zuhören muss.


MONTSERRAT CABALLÉ: „In mir erklingt ein Lied“ („G’Schätzli“, „Va, pensiero“ / Nabucco, BMG-CD, rec. 2000).

DS: Ist eine Operetten-Diva... (schüttelt den Kopf). Zwischendurch kann sie‘s, aber nicht immer. Komische Intonation, komische Stimmführung...Heute ist man sich schon Anderes gewöhnt... Wenn das als Witz gemeint ist, wäre ich total dabei. Kann an der Stimme nichts Gutes finden, wirkt irgendwie alt. (Nach Bekanntgabe:)...ist doch nicht möglich, ist ja unter aller Würde.


ROKIA TRAORE: „Wanita“ („N’Gotolén“, Label Bleu/Indigo/RecRec-CD, rec.1999).

DS: ...ist wahnsinnig schnell..., mit kurzem Vibrato, das einen irgendwie elektrisiert;  habe diese Art Kraft und Qualität schon einmal auf irgend einem Women-World-Music-Sampler gehört. Woher kommt diese Sängerin ? (aus Mali).


DAVID MOSS: „My Favorite Things“ („The Girl from Ipanema“, Intakt-CD, rec. 1990).

DS: ...führt einen den ganzen Song lang an der Nase herum, der Herr Moss; er verspricht immer viel, löst es aber nie ein...


OUM KOULSOUM: „Thaourat al Shak“ (Konzertaufnahme, Ausschnitt, EMI / Sono Cairo-LP, 1981).

DS: Möchte das am liebsten in dem Umfeld hören und erleben, wo es herkommt, nicht als Aufnahme hier bei uns im Zimmer...Wirkt auf mich wie hypnotisch, meine fast zu spüren, worum es da geht...


SOFIA GUBAIDULINA: „Astreja – Music from Davos“ („Piece 1“, Ausschnitt, u.a. mit Valentina Ponomareva, voc, Leo-CD, rec. 1991, Davos).

DS: Ich weiss nicht, wer das ist, klingt voll improvisiert, wie die Instrumente zusammen kommen, - mit der Stimme, der Perkussion, den Klangfarben..., sehr, sehr schön.


LES DOUBLE SIX („Moanin‘ / La complainte du bagnard“. Direction et textes: Mimi Perrin; Georges Arvanitas,p, Michel Gaudry,b, Daniel Humair,dr;  OPEN-LP, rec. 1960, jetzt auch auf CD !: BMG 74321 643142).

DS: Unheimlich kurios ! Mir gefällt sehr, wenn die Stimmen so virtuos instrumental eingesetzt werden..., und wie sie die schnellen Tonfolgen mit Worten bewältigen...


GIYA KANCHELI: „Lament“, 1993/95 (Music of mourning in memory of Luigi Nono for Violin, soprano and orchestra; Gidon Kremer,violin, Maacha Deubner, soprano, Tbilisi Symphony Orchestra, Jansug Kakhidze, conductor; ECM-CD, rec. 1998).

DS: Ist mir stellenweise zu überwältigend, zu voluminös, zu pathetisch, ...aber wie die verschiedenen Teile aufeinanderprallen,  sich fast gegenseitig auslöschen, wo sich plötzlich alles verströmt und dadurch eine gewisse Leere entsteht, wo es dann wieder ins Klangfeld hineingeht, wieder Form entsteht, plötzlich andere Kräfte wirksam werden...! Ist vermutlich später in diesem Jahrhundert entstanden, wo alle kompositorischen Mittel wie selbstverständlich zur Verfügung stehen, das ganze Jahrhundert sich irgendwie aufrollt... Eindrücklich.




 ©JAZZ 'N' MORE NR. 3/2000
Fotos : © Peewee Windmüller



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