Johannes Anders
Musik - Journalist

FREDY STUDER

Text von Johannes Anders


Fredi Studer 1 Geboren 1948 in Luzern. Autodidakt. Freelance-Aktivitäten mit Musikern von John Abercrombie bis John Zorn. 1972 Gründungsmitglied von "OM". Schlagzeuger im "Franco Ambrosetti / George Gruntz Quintett" (mit Joe Henderson, Miroslav Vitous oder mit Larry Schneider, Dave Holland), sowie bei "Percussion Profiles" (Jack DeJohnette, Pierre Favre, Dom Um Romao, David Friedman, George Gruntz). In den 80-er Jahren in den Trios "Brüninghaus/Stockhausen/Studer" und "Red Twist & Tuned Arrow" (Stephan Wittwer, Christy Doran), bei "Singing Drums" ( Pierre Favre, Paul Motian, Nana Vasconcelos) und in der "Charlie Mariano-Jasper van't Hof Group". In den 90-er Jahren in den Bands "Doran/Studer/Burri/Magnenat", "Doran/Studer/Minton/Bates & Ali play the music of Jimi Hendrix", sowie bei"Doran/Studer/Tacuma/Jenny-Clark". Gegenwärtig im seit 1990 bestehenden Hardcore Chambermusic Trio "Koch-Schütz-Studer" (Hans Koch, Martin Schütz), im Projekt "Roots and Wires" ( K/S/S plus DJ M.Singe und DJ I-Sound), im Duo mit Pierre Favre und im Trio "Schulkowsky-Studer-Baron (Robyn Schulkowsky, Joey Baron). Duo-CD-Reihe mit Musikerinnen (Robyn Schulkowsky, Jin Hi Kim, Joëlle Léandre, Dorothea Schürch, DJ M.Singe und Saadet Türköz). Konzerte in ganz Europa, Afrika, Japan, Südamerika, der Karibik, in Taiwan, Indien, der Ex-Sowjetunion, in Kanada und den USA. Studers Wirken ist auf über 50 Tonträgern dokumentiert .


PIERRE FAVRE TRIO:

SANTANA („Santana“, rec. 1968, Auszug. Pierre Favre, dr, Irène Schweizer, p, Peter Kowald, b. PIP-Records-LP).

FS: Ja, ja, das ist Cecil mit Cyrille, nein? Ah..., es ist Irène, etwas Älteres. Ist es „Santana“ mit Pierre? Eine gute Platte. Pierre hat ja viele radikale Stadien durchgemacht, von der Max Greger Bigband und der ganzen damaligen Münchner Szene bis zum Free Freejazz... Ich hatte damals viele Konzerte mit ihm gehört und in guter Erinnerung, im Trio, im Quartett mit Evan Parker...; war schon etwas vom Besten und ich habe sicher einiges von ihm gelernt...


OM  MONTREUX:

(FÜDDLER) ON THE ROOF („Live & more – Electric Jazz Freemusic“, rec. 1974, Auszug. Christy Doran, el.& ac.g., Urs Leimgruber, ss, ts, fl, perc, Bobby Burri, b, Fredy Studer, dr. Indian-Records-LP).

FS: Lacht..., das ist „OM“ in Montreux? Long time ago... Man erkennt jeden sofort, spezieller Sound, frische Musik nach wie vor. Damals nannten wir das „Electricjazz – Freemusic“ - und eigentlich machen wir die mit unserer „Hardcore Chamber Music“ immer noch...


EDGAR VARÈSE:

IONISATION - 1929/31 („Pierre Boulez - The Festival Edition - Lucerne Festival 2002“, rec. 1995, Auszug. Chicago Symphony Orchestra, Leitg. Pierre Boulez. DG-CD).

Fredi Studer 2FS: (...reagiert sofort) as ist „Ionisation“ von Varèse, da kenn ich jeden Ton, habe die ganze Partitur daheim, ist ein Wahnsinnsstück, die rhythmischen Überlagerungen, die neuen Klänge... Bei der Uraufführung 1937 in Paris gab es einen Skandal. Die Perkussionistin Robyn Schulkowsky hatte dieses Stück für 13 Spieler und Dirigent einmal Ton für Ton, verteilt auf 6 Spieler und ohne Dirigent, umgeschrieben und wir hatten vollauf zutun, damit wirklich kein Ton verloren geht..., die Sirenen z.B. mit den Füssen... Da habe ich wahnsinnig dazugelernt!


TONY WILLIAMS QUINTET:

CREATURES OF CONSCIENCE („The Story Of Neptune“, rec. 1991. T. Williams, dr, W. Roney, tp, Bill Pierce, ts, Mulgrew Miller, p, Ira Coleman, b. Blue Note-CD).

FS: ...ist ganz komisch, dachte zuerst, allerhand Tony-Williams-Licks, aber er ist es nicht, oder doch? – seltsam. Sein Spiel ist mir hier viel zu schwer, nichts mehr von der Leichtigkeit, dem Spritzigen, Explosiven wie etwa auf den Miles-Alben „Miles Smiles“, „Nefertiti“, „Filles de Kilimanjaro“ oder auch bei seinen ersten „Lifetime“-Gruppen...Aber er war ein genialer Schlagzeuger.


GYÖRGY LIGETI: APPARITIONS II 1958/59

(„The Ligeti Project II“, rec.2001. Berliner Philharmoniker, Leitg. Jonathan Nott. Teldec-CD).

FS: Da sind wir wieder bei composed music, obwohl es am Anfang wie improvisiert klang - eine Musik, in die man richtig einsteigen muss..., sehr gut! Von den Streichern her könnte es Ligeti sein...


CAFÉ CAIRO –MOHAMED RUCHDI:

ICHARIYYA („...Egypt’s golden era legends“, M.Ruchdi, voc. + Ensemble. EMI Music Arabia/Virgin-CD).

FS: Tönt sehr nach Ägypten, das Rhythmische, die Melodik..., irrsinnig, wie die mit Halb- und Vierteltönen schaffen. Wir haben ja einige Wochen dort verbracht, und mit dieser Musik bin ich gleich wieder dort und viele Erinnerungen tauchen auf. Die ägyptische Musik hat ja eine ganz eigene Mood, anders als etwa die türkische, marokkanische oder tunesische Musik.


SOMMER-KASSAP-LAVALLET:

THREE FOR THE FESTIVAL... („Workshop Freie Musik Berlin“, rec. 1992. Sylvain Kassap, sax, cl, Didier Lavallet, b, Günter Sommer, dr, perc. FMP-CD).

FS: ...der Drummer scheint ein Europäer zu sein – guter Fluss, gute Energie, guter Spirit..., gefällt mir sehr.


GALINA USTWOLSKAJA:

KOMPOSITION NR.2 – DIES IRAE (1972/73) FÜR 8 KONTRABÄSSE, SCHLAGZEUG UND KLAVIER (Lucerne Festival „Ostern 2002“, rec.23.5.02, Auszüge. Collegium Novum Zürich, Jacqueline Ott, Perkussion, Christoph Keller, p. SR DRS2, 28.3.02).

FS: Sind die harten Schläge auf dem Flügel? J.A.: Nein, es ist eine Art Holzkiste, auf der mit zwei Holzhämmern gespielt wird. FS: Eine sehr strenge Musik, wie ein akustisches Ritual, sehr radikal..., wahrscheinlich als Live-Erblebnis noch stärker und ritualhafter...


HAN BENNINK – EUGENE CHADBOURNE:

THREE YEARS LATER („21 Years later“, rec. 2000. Han Bennink, dr, E. Chadbourne, g. Leo-Records-CD).

FS: Einen kurzen Augenblick dachte ich, könnte das ich sein - mit Steffi Wittwer..., aber dann doch nicht. Gefällt mir auf jeden Fall sehr gut. Ist das der Bennink? Es ist einfach Impro voll Rohr, mit zwei Verückten am Werk... Han Bennink gibt immer alles und ich finde prinzipiell gut, wenn nicht „gesändelet“ wird.


DJAMCHID, KEYVAN + BIJAN DCHEMIRANI:

SAINT MAIME II („Trio de Zarb“, persische Bechertrommel, rec. 1998. Al sur-CD).

FS: Haut auf Fellen, gute Hände und Finger..., sehr schön, auch wie es rhythmisch kehrt. Gefällt mir extrem gut. Hat mit den rhythmischen Bögen eine gewisse Verwandtschaft zur nordindischen Tabla-Musik..., total verrückte Sounds, irrsinnig schön. Wenn das Maximum 5 Sterne wären, dieser Musik gäbe ich 6!


OM:

EIGENTLICH WOLLTE JOHANN AUF DEM MOND DEN ANDERN JAZZ KENNENLERNEN („Cerberus“, rec. 1980, Auszug. Besetzung wie „OM Montreux“. JAPO/ECM-LP).

FS: Aha..., den Gong kenne ich, den habe ich nämlich immer noch. Das ist doch auch „OM“ und das ist das Stück von „Cerberus“ - mit Dir auf dem Mond...?. J.A.: ...und wieso eigentlich dieser Titel? FS: Es gab damals ein Doppelkonzert, mit „OM“ und ich glaube mit dem Willem Breuker Kollektiv beim Jazzfestival Zürich..., und da hattest Du im Tages Anzeiger über uns einen totalen Verriss geschrieben..., während die andere Gruppe für Dich grandios war. Wir hatten sicher nicht das Gefühl, dass wir die Besten seien, aber so eine krasse Kritik...; wir dachten damals, der hat aber überhaupt nichts kapiert... 


PIERRE BOULEZ:

SUR INCISES, 1996/98 - POUR TROIS PIANOS, TROIS HARPES, TROIS PERKUSSION-CLAVIERS („Sur Incises“, rec. 1999, Auszug. Soloists of the Ensemble Intercontemporain. DG-CD).

FS: Wahnsinnig gespielt! Derart rasende und präzise Läufe ergeben einen bestimmten Sound, was vermutlich auch beabsichtigt ist und ich finde es gut, dass diese Virtuosität dafür eingesetzt wird und nicht Selbstzweck ist. Es hat Drive und geht extrem schön ineinander; eine ziemlich verrückte Sache und diese wahnsinnige Dynamik...; Dynamik ist ja das, was man von der klassischen Musik lernen kann. Sehr beeindruckend!


THOMAS RÜCKERT TRIO:

ALL OR NOTHING AT ALL („Debut“, rec. 2001. Thomas Rückert, b, Dietmar Fuhr, b, Jochen Rückert, dr. JHM-CD).

FS: Das ist jetzt aber der Roy Haynes..., nein? Aber sehr schön gespielt, gefällt mir sehr gut. Eigentlich interessiert mich diese Art Musik nicht mehr sehr, aber das ist ja eigentlich Wurscht, wenn man spürt, dass da etwas gemeint ist, das was rüberkommt!


MATTHEW SHIPP TRIO:

THE NEW FACT („The Multiplication Table“, rec. 1997. M. Shipp, p, William Parker, b, Susie Ibarra, dr.  hatOLOGY-CD).

FS: Da bin ich jetzt nicht so drin, dünkt mich etwas sehr angestrengt und es fliesst nicht für mich... (Nach Bekanntgabe:) Susie Ibarra habe ich in New York auch schon gehört und da hat sie mir sehr gut gefallen...


CHARLES LLOYD:

HYPERION WITH HIGINS („Hyperion with Higgins“, rec. 1999. C. Lloyd, ts, Billy Higgins, dr, J.Abercrombie, g, Larry Grenadier, b, Brad Mehldau, p. ECM-CD).

FS: Schön, der Drummer fährt gut... Auch hier kommt mir zuerst wieder Roy Haynes in den Sinn. Wer ist es denn – was, Billy Higgins... Wäre nicht auf ihn gekommen. Aber ein irrsinniger Schlagzeuger, der weiss, was er macht, ...ist fundiert und hat Gewicht, obwohl er total luftig spielt...


KEITH JARRETT/GARY PEACOCK/JACK DE JOHNETTE:

INSIDE OUT (“Inside Out“, rec. 2000, Auszug. ECM-CD).

FS: Ich kenne die CD nicht, aber es ist eindeutig Jack DeJohnette – mit Jarrett und Peacock? Wie der Jack spielt..., da sind wir auf dem obersten Tablett, das ist einfach „rüdig guet“! Ideen, Ideen – es wird einfach gespielt und es ist ein gutes Beispiel für Interplay und auch ein gutes Beispiel für Puls-spielen, auch wenn das Time nicht ausgespielt ist, eine der grossen Spezialitäten von Jack. Er ist ein ganz Grosser, irrsinnig, was er macht. Die Drei sind „im Züg dinne“, es wird dauernd erfunden und nicht einfach etwas gemacht und abgeliefert...


KEITH JARRETT/GARY PEACOCK/PAUL MOTIAN:

SOLAR („At the Deer Head Inn“, rec. 1992. ECM-CD).

FS: ...während Jack und Jarrett wie zwei Zahnrädli sind, ist der Paul wie ein guter Gegenpol zu Jarrett und viele merken nicht, wie genial er ist, welch wahnsinnige Intuition er hat, meinen vielleicht sogar, er könne nicht spielen... Habe schon mehrmals mit ihm gespielt und kenne ihn hautnah: bei ihm gibt es dauernd Überraschungen und er macht mit einem Minimum an Technik die optimalste Aussage, was ja eigentlich auch eine Technik ist. Es ist eigentlich alles anti und nicht so wie es eigentlich sein soll...Aber er ist Spitze und Jazzschulstudenten könnten bei ihm eine Menge lernen...Paul hat mir einmal von einer gemeinsamen Probe des Trios erzählt, wo überhaupt nichts gelaufen sei und wo er den Vorschlag machte, die Kleider auszuziehen und alle drei hätten sich dann tatsächlich „füdliblutt“ abgezogen. Und da sei die Probe auf einmal ganz anders verlaufen, in einer ganz speziellen Atmosphäre... 


JOHN ABERCROMBIE:

ON THE LOOSE („Cat ‘n‘ Mouse“, rec. 2002. J. Abercrombie, g, Mark Feldman, viol, Joey Baron, dr, Marc Johnson, b. ECM-CD).

FS: Ich glaube ich weiss, wer da spielt: Joey Baron! Hat mir gleich gut gefallen. Habe schon viel mit ihm zusammen gemacht. Er schafft extrem mit dem Sound und er weiss einfach ganz genau, wo er was wann und warum macht..., ist ein Ober-Enthusiast. Wir gehen ja demnächst zusammen im Trio nach Brasilien, Robyn Schulkowsky, Joey Baron und ich... 


J.A.: Möchtest Du zum Schluss noch etwas Spezielles hören, vielleicht aus der Schweiz?

FS: Vielleicht von der Nick Bärtsch-CD „Ritual Groove Music“ mit Kaspar Rast, Mats Eser usw.

 

NIK BÄRTSCH’S MOBILE:

NR. 1 („Ritual Groove Music“, rec. 2000, Auszug. Nik Bärtsch, prepared piano, Kaspar Rast, dr, ritual groove set, Mats Eser, marimba, percussion, Don Pfäffli, as, bcl. rōnin rhythm-CD 3871).

FS: Diese Musik empfinde ich als überzeugend, als geniale Idee, vor allem auch, das prepared piano rhythmisch und Groove-bezogen zu spielen, in einen Groove-Kontext zu transferieren. Sicher, man kennt prepared piano von Cage oder Cardew, aber das hier ist sehr eigenständig und auch das, was Kaspar Rast macht, ist höchst originell! Die ziehen Idee und Konzept konsequent durch, was heute überhaupt nicht einfach ist. Eine sehr gute CD und eine Schweizer Produktion, die ich vorbehaltlos empfehlen kann!


J.A.: Fredy, ganz herzlichen Dank, dass Du gekommen bist und so unermüdlich mitgemacht hast.




 © JAZZ 'N' MORE Nr. 5/2002
Fotos © Peewee Windmüller



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