Johannes Anders
Musik - Journalist

NINA KEPPLER /"NINA’S JAZZ"

 Von Johannes Anders       

NIna Keppler"Zur Zürcher Jazztradition gehört neben 'Bazillus' und 'Moods' auch Ninas Plattenladen. Alte Füchse, grosse Sammler, profunde Kenner, jüngere und ältere Musiker treffen sich hier seit Mitte der Siebziger, hören, diskutieren, tauschen sich aus, stets sorgfältig moderiert von einer Chefin, die nicht minder kenntnisreich als ihre ausgebufftesten Kunden, den jeweiligen Runden unermüdlich treffliche akustische Munition zu präsentieren weiss. Wenn irgendwo die für den Entwicklungsverlauf  dieser Musik so oft besungene, aber immer weniger gepflegte 'oral tradition', die mündliche Weitergabe des Wissens also, und das Zu-Hören noch eine echte Heimat haben, dann bei Nina’s Jazz in Zürich", schwärmt der Kunsthistoriker und Schlagzeuger Dieter Ulrich.

Nina Keppler, im November 1945 in Bern geboren, stammt aus einem Musik liebenden Elternhaus, wo viel Wert auf guten Musik-Geschmack gelegt wurde. "Mein Vater war sehr musikalisch", erzählt Nina. "Er spielte Klavier und hörte sehr viel Musik, neben Klassik auch Jazz wie etwa Art Tatum, Louis Armstrong etc. Meine älteren Schwestern hörten nicht Peter Kraus sondern Chuck Berry. So wurde mein Ohr eigentlich schon früh geschult. Während 15 Jahren hatte ich klassischen Klavierunterricht". 1967 zog Nina aus beruflichen Gründen nach Zürich und traf auf einen Bekanntenkreis, „der total vom Jazz infiziert war, was mich sofort ansteckte und begeisterte“. Darunter war auch Jeff Duplain, der Gründer des Jazz-Vertriebs "Plainisphare". "Er nahm mich" so Nina weiter, "ab 1969 jedes Jahr mit nach Montreux, wo ich die ganze Woche lang Schallplatten verkaufte. Hier wurde der Grundstein zu meiner Jazz-Leidenschaft gelegt. Am 1. September 1976 fasste ich den Mut, auch mit Hilfe von Jeff Duplain, mein erstes Platten-Geschäft an der Zürcher Universitätsstrasse zu eröffnen. Um mir den Lebensunterhalt  zu finanzieren - anfangs hatte ich kaum mehr als einen Kunden pro Tag - servierte ich im damaligen Hotel Linde Oberstrass von 7 – 10 Uhr das Frühstück. Dazu arbeitete ich hier sonntags und montags bis 14.00 Uhr hinter dem Buffet. Beides hat mir Spass gemacht. Am 1. Oktober 1978 hatte ich das grosse Glück, mit meinem Laden an die Froschaugasse ziehen und dort 10 tolle, aber auch ereignisreiche Jahre bleiben zu können. Seit 1988 bin ich nun an der beschaulichen, aber nicht sehr kundenfreudlichen Kirchgasse. Übrigens: Seit November gibt es bei mir als Neuheit einen kleinen Barbetrieb. Ich würde mich sehr freuen, Sie hier persönlich begrüssen und beraten zu können. Und: Am Sonntag, 21. Dezember, habe ich von 11 bis 17 Uhr Open House mit Apéro".


JOHN LaPORTA QUINTET (*1920):

FLUID DRIVE ("with Louis Mucci", rec. ca. 1954. J. LaPorta, as, L. Mucci, tp, Walli Cirillo, p, Richard Carter, b, Eddie Shaughnessy, dr. Debut-25cm-LP).

NK: … kenne ich nicht, aber spannende Musik; (beim Altsax-Solo:) whow, sind das schöne Linien, erinnert mich etwas an Konitz, Tristano …, sinds aber nicht, aber traumhaft schönes Piano,  ich schätze 50er Jahre, Westcoast-Zeit, aber immer noch frisch und modern.  


HERBIE NICHOLS (1919-1963):

2300 SKIDDOO ("The Prophetic Herbie Nichols", rec.1955. H. Nichols, p, Al McKibbon, b, Art Blakey, dr. Blue Note-25cm-LP).

NK: (lacht), ist wunderbar, so schön schräg, umwerfend der Schlagzeuger, ist es Max Roach oder doch Blakey? Zuerst dachte ich an Pud Powell, er ists aber nicht … (Nach Bekanntgabe:) Herbie Nichols kenne ich natürlich gut, seine trocknen, monkischen Kompositionen …. Habe ihn aber schon sehr lange nicht mehr gehört; man sollte wieder viel mehr die guten alten Platten hören  …


HAMPTON HAWES TRIO (1928-1977):

BLUES THE MOST ("Vol. 1: The Trio", rec. 1955. H. Hawes, p, Red Mitchell, b, Chuck Thompson, dr. Contemporary-LP).

NK: Das könnte Hampton Hawes sein, ein ganz eigenständiger, phantastischer Pianist, der aber trotzdem nicht so bekannt geworden ist, … diese typischen Akkorde und dann geht’s wieder bebopig los, obwohl er ja vom Westcoastjazz kommt …


CHARLIE MINGUS (1922-1979):

MEDITATIONS FOR MOSES ("Mingus Plays Piano – spontaneous compositions and improvisation", rec. 1963. Charles Mingus, p-solo. Impulse-LP).

NK: … spannend, das spanisch Angehauchte, herrlich, etwas ganz Verrücktes, erzählt eine Geschichte…(Nach Bekanntgabe des Titels:) Das ist ja der Mingus! - alles klar.


CHARLES LLOYD QUARTET (*1938):

DO YOU LOVE ME ("Cannonball Adderley’s Fiddler On the Roof", rec. 1964. Charles  Lloyd, ts, Joe Zawinul, p, Sam Jones, b, Louis Hayes, dr / ohne Cannonball und Nat Adderley. Capitol-CD).

NK: Whow, ist das schön, eine traumhafte Ballade, erinnert mich an Coltrane …, er ist es nicht? Das irritiert mich aber total. 


CHARLES TOLLIVER (*1942):

EARL’S WORLD *** ("and his All Stars", rec. 1968. Charles Tolliver, tp, Herbie Hancock, p, Ron Carter, b, Joe Chambers, dr, *** ohne Gary Bartz, as. Black Lion-LP).

NK: Das muss aus der Zeit Ende der sechziger Jahre sein, wo die Früchte aus den vorangegangenen Spielformen – Coltrane, Ornette usw. – sozusagen geerntet wurden und ein Haufen frischer Musiker erschienen ist, die lebendige, neue Musik gemacht haben. Aber den Trompeter hier, z.B. mit den typischen Trillern nach oben raus, den kenne ich eigentlich gut, komme jetzt aber nicht drauf - wird heute auch kaum mehr gespielt … 


KEITH JARRETT TRIO (*1945):

MOVING SOON / NEW RAG ("Somewhere Before", rec. 1968. Keith Jarrett, p, Charlie Haden, b, Paul Motian, dr. Vortex-LP).

NK: … hoppla, hoppla …, tolle Sache – whow! Wer ist denn das? Klang am Anfang mit dem ganz freien Spiel wie Cecil Taylor – heijeijei … J.A.: … stelle fest, dass er schon damals bei den spannenden Stellen mitgesungen hat … N.K.: Da kommt mir eigentlich nur Keith Jarrett in den Sinn aber für mich ist er das nicht! – doch …, lacht, lacht …, ist ja wahnsinnig und soviel ungewohnter Witz und Humor wie im 2. Stück …


ANDRÁS SCHIFF (*1953).

VARIATIO 20 (J. S. Bach – Goldberg Variations, rec. 2001, Basel. András Schiff, p. ECM-CD).

NK: Das ist phantastisch, unglaublich, was da rhythmisch passiert, ganz verrückt; für mich tönts nach Bach – total akzentuiert gespielt – gewaltig – ein ganz anderes Hören!


EDDIE „LOCKJAW“ DAVIS (1921-1986):

Watch What Happens (" Old Widder Bar - Mixed Memories – Pretty Memories – The Arnold Burri Private Collection", rec. 7.3.1984. E. L. Davis, ts, Kenny Drew, p, Mads Vinding, b, Ed Thigpen, dr. Arnold Burri-Private-CD).

NK: Schööön ! – lacht -  sooo gut…, dieses Drücken, diese gepressten Töne, das muss der Eddie “Lockjaw” Davis sein und weil Du vorhin von einem speziellen Aufnahmeort gesprochen hast, nehme ich an, dass das die Widder-Bar ist, denn da habe ich ihn auch gehört – mit Kenny Drew …


STAN GETZ QUARTET (1927-1991):

MY OLD FLAME (Angaben siehe Eddie "Lockjaw Davis, rec. 5.6.1984. Stan Getz, ts, "Jim" NcNeely, p, George Mraz, b, Ralph Penland, dr. A. Burri-Privat-CD).

NK: Hmmm …, wunderschönes Balladenspiel !  Zuerst dachte ich wegen der stellenweise starken Phrasierung und den in der Tiefe angespielten, scharfen Tönen kurz an Dexter Gordon, aber dann wurde doch klar, dass er es nicht ist, dass es Stan Getz sein muss.  


MARTHA ARGERICH (*1941):

PRÉLUDE No. 16, b-moll ("Frédéric Chopin: Préludes", 1810-1849, rec. 1975. Martha Argerich, p. DG-CD).

NK: Oh …, whow ! – wunderbare Musik, sooo schön …, und so virtuos, ist das Chopin? Die CD muss ich mir kaufen.


MARC COPLAND / GREG OSBY (*1948 / * 1960):

SILENT ATTITUDE ("Round And Round", rec. 2002. Marc Copland, p, Greg Osby, as. NH-CD).

NK: Ein ganz tolles Duo, ein weisser und ein Schwarzer … , und hier vor allem erstaunlich, wie sich Greg Osby, den man sonst ganz anders kennt, kräftiger, abstrakter, hier in die lyrisch-versponnene Welt von Marc Copland einfühlt … Erstaunlich aber auch, dass ein so eigenwilliger und beeindruckender Pianist wie Marc Copland immer noch nicht bekannter ist, obwohl das jetzt langsam schon kommt …


NILS WOGRAM QUARTET (*1972):

SOURCE OF EXTENSION ("Construction Field", rec. 2000. Nils Wogram, tb, Simon Nabatov, p, Henning Sieverts, b, Jochen Rückert, dr. Altri Suoni-CD).

NK: Sehr beeindruckend, auch der Pianist. Ich glaube ich weiss, wer das ist: die beiden haben zusammen auch schon tolle Duo-Aufnahmen gemacht …, sehr gut (lacht bei den stellenweise nicht nur brillanten sondern auch witzigen Duo-Passagen) -  habe selten Posaune und Piano so eigenwillig und gut zusammenspielen gehört wie Wogram und Nabatov!  


BJØRN ANDRESEN / BUGGE WESSELTOFT / PAAL NILSSEN-LOVE:

A QUIET PLACE ("Samsa’ra", Auszug, rec.2002. Bjørn Andresen, b, Bugge Wesseltoft, p, prophet s, Paal Nilssen-Love, perc. Jazzland-CD).

Spannung …, ist aber nicht meine Welt.


RICHARD BONA (*1967):

MUTO BYE BYE ("Munia – The Tale", rec. ca. 2002/3. Richard Bona, voc, b, George Colligan, p, Vinnie Colauita, dr.  Universal-CD).

NK: Ist das eine schöne Sprache … (J.A.: Der Sänger kommt aus Kamerun) NK: … ein phantastischer Sänger, geht in eine Richtung von Volksmusik, die ich gern habe – sehr schönes Pianosolo …, was ist das für eine Gruppe ?


FORTUNAT FRÖHLICH (*1954):

LEH YA JARÈ (Leh Ya Jarè", Auszug 2ème Mov., rec. 2002. Ensemble Marocain, Ensemble Suisse: Hans Koch, bcl, Fabian Kuratli, dr, Hans Hassler, acc, Risch Biert, organ, Fortunat Fröhlich, cond, cello, Coramor Chur, Chorale du conservatoire National de Rabat, Maroc. MGB-CD).          

NK: Überraschend ist die totale Reise, auf die man mitgenommen mit: zuerst klingt das mit dem Akkordeon wie eine Art World-Quintet-Musik, die aber gleich mit einem freien Bassklarinetten-Solo aufgebrochen wird, dann kommt ein arabisches Ensemble, der arabische Chor und der andere Chor, wo man fast das Gefühl bekommt, jetzt geht’s in die Oper … - faszinierend diese organischen Übergänge  – Chapeau. J.A.: In den Liner Notes heisst es u.a., dass die ungeheure Verschiedenartigkeit der kulturellen Ausdrucksformen ein wunderbarer Reichtum sei und dass die Spannung zwischen den sich fremden Elementen, die sich im gesellschaftlichen Bereich oft negativ oder gar destruktiv entlädt, im Grunde ein kreatives Potential ist. N.K.:    Die CD muss ich haben!


TOROS CAHN (*1971, Türkei):

ÉTUDE NO 10 / 1994 / DÉDIÉE À PIERRE-LAURENT AIMARD ("GYÖRGY LIGETI*  – Études“, *1923, rec. 2000. Toros Cahn, p. L’Empreinte Digitale-CD).

NK: Irrsinnig, ganz verrückt, sagenhaft …, die kleinen Variationen – grossartig. Auch diese CD muss ich mir besorgen. 


DUDU PUKWANA & ZILA (1938-1990):

SWEET NOWAMI ("Live at Jazz Festival Zürich", rec. 1986. Dudu Pukwana, as, Harry Beckett, tp, Pinise Saul, voc, a.o. Radioaufn. Live-Sendung SR DRS).

NK: Ich vermute, das gibts nicht auf Platten – wunderbare, wilde Tanzmusik, voller Groove und Lebensfreude, herrlich, da möchte man mal wieder dabei sein. Unter welchem Namen trat die Gruppe auf ? Dudu Pukwana - schade, dass es die nicht mehr gibt und aus Südafrika kommt auch nichts mehr…

Nina, ganz herzlichen Dank für Deinen Besuch.




 

© JAZZ 'N' MORE Nr.6/2003
© Foto: Peewee Windmüller



zurück