Johannes Anders
Musik - Journalist

PETER A. SCHMID

Text von Johannes Anders

Peter A. SchmidPeter A.Schmid (*1959) lebt mit seiner Familie in Uster. Ab 1980 besuchte er die Jazzschule Luzern (Saxofon-Unterricht bei Urs Leimgruber) und spielt seither in verschiedensten Formationen im Grenzbereich Jazz - Improvisierte Musik – zeitgenössische/komponierte Musik. Verschiedenste CD-Produktionen u.a. mit Roger Girod, Evan Parker und Michel Pilz auf Creative Works Records (www.creativeworks.ch). Demnächst erscheint seine erste Solo-CD „Windscapes“ (CWR 1040) mit ein- und mehrstimmigen Klanglandschaften, geblasen auf verschiedenen Klarinetten, Tubax, Soprillo und Taragot. Im Mittelpunkt seiner musikalischen Aktivitäten standen in den letzten Jahren zunehmend Duo-Formationen. In  diesem Jahr ist dementsprechend ein Zyklus mit 12 Duo-Konzerten an seinem Wohnort in Uster geplant („homestories“). Peter Schmid hat dazu einerseits Musiker eingeladen, mit denen er schon lange im Duo zusammenspielt (u.a. Roland Schiltknecht, Dominik Burger, Jerry Rojas). Andererseits kommt es aber auch zum Zusammentreffen mit  Musikern, die bereit sind, sich auf ein frei improvisiertes Duo-Konzert einzulassen (u.a. der kalifornische Multibläser Vinny Golia, Barry Guy, Evan Parker, Mathias Ziegler). Weitere Informationen dazu auf der Homepage www.paschart.ch . Neben seiner musikalischen Tätigkeit arbeitet Peter Schmid als Facharzt für Magen-, Darm- und Leberkrankheiten in einer Gemeinschaftspraxis in Küsnacht ZH.


LA DOINA ROUMAINE:

DOINA DU MARAMURES¸ ("Marcel Cellier présente", rec. ca. 60er Jahre. Ensemble Gheorghe Zamfir, Taragot-Solo: Dumitru Fârkas¸. Disques Cellier-LP).

PAS: Das ist sicher eine Taragot-Aufnahme und vermutlich Dumitru Fârkas¸, den ich das erste Mal vor Jahren auf einer LP mit dem Westschweizer Marcel Cellier hörte; er ist mit Abstand der zumindestens im Westen bekannteste Taragot-Virtuose. Seit dem war für mich klar: Ich muss ein Taragot haben, was sehr schwierig zu beschaffen war, denn heutzutage werden keine guten Instrumente mehr gebaut; aber ich konnte eines beschaffen und restaurieren lassen. Es ist ein phantastisches, jedoch nicht einfach zu spielendes Instrument; auf meiner neuen, demnächst erscheinenden Solo-CD sind einige Taragot-Stücke zu finden.


GERRY MULLIGAN QUARTET:

BARK FOR BARKSDALE ("Live Concert, Salle Pleyel, Paris", rec. 1954. Gerry Mulligan, bs, Bob Brookmeyer, v-tb, Red Mitchell, b, Frank Isola, dr.  BMG-Planet Jazz-CD).

PAS: Ein Jazzquartett ohne Harmonie-Insrument, ältere Aufnahme, etwa 50er, 60er Jahre, Baritonsax und Posaune, der Baritonsaxophonist mit relativ weichem Ton, der beim Begleiten der Posaune Basslinien spielt..., das muss Gerry Mulligan sein.


ERIC DOLPHY QUARTET:

NIGHT MUSIC ("Vintage Dolphy", rec. 1962. E. Dolphy, bcl, Barry Galbraith, g, Chuck Israels + Art Davis, b, Sticks Evans, dr. ENJA-LP).

PAS: Klar, das ist Dolphy, ein phantastischer Musiker und die zentrale Person und der zentrale Einfluss vermutlich für alle, die sich mit diesem Instrument beschäftigen. Jammerschade, dass er so früh verstorben ist, denn es wäre hochinteressant gewesen, wie sich dieser wunderbare Musiker weiterentwickelt hätte. Ein spannender Anfang und eine phänomenale Komposition... JA:... von Gunter Schuller... PAS:... ein überzeugender Komponist an der Schnittstelle zwischen Klassik und Jazz.


JAZZ ABSTRACTIONS:

VARIATIONS ON A THEME OF THELONIOIUS MONK [CRISS CROSS]

("John Lewis presents Contemporary Music – Compositions by Gunter Schuller & Jim Hall", rec. 1960. Eric Dolphy, bcl, as, fl, Ornette Coleman, as, Jim Hall, g, Bill Evans, p, Eddie Costa, vib, Scott LaFaro + George Duvivier, b, & The Contemporary String Quartet. Atlantic-LP).

PAS: Ganz klar wieder Dolphy, keiner spielt so wie er - eine Aufnahme, die ich nicht kenne, obwohl ich viele Platten von ihm habe. JA:... sind auch ganz seltene Aufnahmen... PAS:... und der Komponist dürfte wieder Gunter Schuller sein. Er war ja einer der Ersten wenn nicht der Erste, der eine Synthese von Klassik und Jazz gemacht hat, die wirklich funktionierte und überzeugte - hervorragend, eine ganz spannende Musik!  


JIMMY GIUFFRE 3:

Peter A. SchmidWHIRRR ("Emphasis, Stuttgart 1961", rec. 1961. Jimmy Giuffre, cl, Paul Bley, p, Steve Swallow, b. hatART-CD).

PAS: Auch das ist klar: Jimmy Giuffre - eine phantastische Aufnahme, muss um 1960 gewesen sein, mit einem Pianisten, den ich mit diesen Klangverfremdungen und dem Spiel auf den Saiten in diesem Umfeld noch nie gehört habe. Es dürfte aber doch Paul Bley sein und Steve Swallow noch am akustischen Bass. Ein phänomenales Trio – kammermusikalischer Jazz genau mit dem, was mich interessiert: Lockeres Themenmaterial, sehr freies Improvisieren, das aber sehr nahe am Material bleibt, also nicht beliebig ist – eine absolute Synthese zwischen Komposition oder kompositorischen Fragmenten und Improvisation. Grandios !


JOHN COLTRANE:

JUPITER [VARIATION] ("The Mastery of John Coltrane / Vol.III", rec. 1967. John Coltrane, ts, bells, Rashied Ali, dr. Atlantic-LP).

PAS: Frage, ist das vor 1967 aufgenommen, ja ? – denn je länger ich gehört habe, desto sicherer wurde ich, dass das eine späte Aufnahmen von Coltrane gewesen sein muss...  JA:... fünf Wochen vor seinem Tod... PAS:... und wahrscheinlich im Duo mit Rashid Ali... Diese Phase hab ich nicht mehr in allen Details verfolgt, weshalb ich nicht ganz sicher war, denn mittlerweile gab es soviele Saxophonisten, die ähnlich gespielt haben oder bei denen der Einfluss von Coltrane so stark war... 


CHICAGO:

MOVIN IN ("Chicago", rec. 1969/70. Columbia-LP).

PAS: Eine Rockband mit grossem Bläsersatz, vom Sound her aus den späten sechziger Jahren. Mir kommen da Blood, Sweat & Tears und Chicago in den Sinn... JA:... es ist Chicago... PAS: Faszinierend – diesen Übergang zum Jazzrock hatte ich aber als Zehnjähriger noch nicht mitgemacht; erst später habe ich diese Gruppen sozusagen retrospektiv gehört. Ist immer noch gute Musik.


ALEXANDER VON SCHLIPPENBACH:

THE LIVING MUSIC ("The Living Music", rec. 1969. A.v.Schl. p, Peter Brötzmann, sax, Michel Pilz, bcl, bs, Manfred Schoof, co, flh, Paul Rutherford, tb, Buschi Niebergall, b, btb, Han Bennink, dr. Quasar/FMP/UMS/Atavistic-CD).

PAS:... das ist lange her und nicht einfach zu erkennen ..., darf ich nochmal in das Bassklarinettensolo hineinhören...: Es ist Michel Pilz und wahrscheinlich eine mittelgrosse Formation von Schlippenbachs Globe Unity – sehr energiegeladenes, freies Zusammenspiel, Supersache. Pilz hat eine eigenständige Spielweise mit Überblastechnik und Schrei-artigen Ausbrüchen, ist aber trotzdem immer relativ melodiös, mit unwahrscheinlichem Tonvolumen und enormem Fluss...


IANNIS XENAKIS (1922-2001):

CHARISMA / 1971 ("orchestral works & chamber music", rec. 1974. Hans Deinzer, cl, Siegfried Palm, cello. col legno-CD).

PAS:... habe mir dabei überlegt, welche Organisationsstrukturen hier zugrunde liegen, was ist improvisiert, was komponiert und ist überhaupt etwas improvisiert. Unterschiedliche Klangfarben und Dynamik, die Klarinette mit extremen überblasenen Klängen, lange Pausen... Es erinnert mich an Ergebnisse, die man bei John Cage oder anderen amerikanischen Komponisten findet, mit teilweise verbalen Angaben - eine Musik, die kaum in konventioneller Notation ausgeschrieben ist – anstrengende Musik, die ich lieber im Konzert als zuhause höre.


JOHN SURMAN-TONY LEVIN-DUO:

ELEMENTS OF SURPRISE ("Live at Moers Festival", Auszug, rec. 1975. John Surman, bs, bcl, ss, synth, Tony Levin, dr. Ring-LP).

PAS: (nach den ersten Tönen)... lacht, typisch John Surman, eine frühere Aufnahme, um die siebziger Jahre herum, mit Stu Martin ..., nein? Was damals schon, auch in seinem freien Spiel, typisch war - Sound, Phrasierung, Melodik – das spielt er heute fast ausschliesslich, sodass man sich wünschen könnte, er möge dazu auch wieder einmal freiere Elemente einbringen..., aber nach wie vor ein grossartiger Musiker!


ANTHONY BRAXTON WITH MUHAL RICHARD ABRAMS:

MISS ANN, CUT THREE / MAPLE LEAF RAG, CUT TWO ("Duets 1976". Anthony Braxton, contrabass sax, contrabass clarinet, Muhal Richard Abrams, p. Arista-LP).

PAS: Kontrabass-Saxophon, ein sehr mühsam zu spielendes Instrument...; da kommt mir eigentlich nur Braxton in den Sinn, ein faszinierender Musiker an der Schnittstelle von Komposition und Improvisation, der auf beiden Instrumenten, also auch auf der Kontrabassklarinette, wie kaum ein anderer erstaunlich gut spielen kann, denn die bisher gebauten Kontrabass-Saxophone sind eigentlich fast unspielbar. Es gibt jetzt aber einen „vergifteten“ Instrumentenbauer in München, der ein völlig neues Instrument konstruiert hat. Er nennt das Tubax, eine sensationelle Innovation, phänomenal gut, mechanisch und akustisch und auch intonationsmässig perfekt bis in tiefste Lagen - zu den bisher gebauten Instrumenten ein Unterschied wie zwischen einem Döschwo und einem Rolls-Royce. Er hat auch das Soprillo entwickelt, eine Oktave höher als das normale Sopransax und er ist daran, eine Kontrabassklarinette zu bauen, die eine Oktave tiefer geht, als die übliche.


JACK DE JOHNETTE SPECIAL EDITION:

INDIA ("Special Edition", rec. 1979. Jack DeJohnette, dr, p, melod., David Murray, bcl, ts, Arthur Blythe, as, Peter Warren, b, cello. ECM-LP).

PAS: Das ist eine meiner absoluten Lieblingsaufnahmen, die ganze CD wie insbesondere das „India“ von Coltrane. David Murray spielt hier ein wunderbares Bassklarinettensolo, damals für mich ein Schlüsselerlebnis und der eigentliche Auslöser, eine erste Bassklarinette zu kaufen und dieses Instument zu erlernen.


EVAN PARKER / NED ROTHENBERG:

FOR AFRIT ("Monkey Puzzle", rec. 1997. Evan Parker, ss, ts, Ned Rothenberg, bcl, as. Leo-CD).

PAS:... war vom ersten Ton an klar: Evan Parker! - hier vermutlich im Duo mit Ned Rothenberg, Bassklarinette, von der wunderbaren Leo-CD „Monkey Puzzle“. Wunderbar hier auch das Verschmelzen der Klänge, Parkers Klangflächen und Obertonspektren, was fast orchestrale Sounds ergibt; und dann die Kommunikation zwischen den beiden, die mit dem sehr eigenständigen Parker nicht ganz einfach ist, hier aber bestens funktioniert, weil er eben auch sehr flexibel ist.


GIANNI COSCIA-GIANLUIGI TROVESI 4:

VOCABOLO SAN MARTINO ("La Bottega di Gianni Coscia", Auszug, rec. 1998. Quartet mit Gianna Coscia, fisharmonica, Gianluigi Trovesi, cl, Andrea Dulbecco, vib, Enzo Pietropaoli, b, +  Quartetto Kandinsky. EGEA-CD).

PAS: ...klingt teilweise wie zirkusartig, aber eine ganz spannende Besetzung mit Flöte, Fagott, Oboe, Horn ..., hat Ähnlichkeiten mit der Lyoner „folkolore imgainaire“ um Louis Sclavis, könnte aber eine italienische Variante davon sein, vielleicht mit Gianluigi Trovesi... Aber es gibt in Italien eine ganze Reihe guter, auch jüngerer Bassklarinettisten, zum Beispiel den jungen Klarinettisten Gabriele Mirabassi, der viel auf dem Label Egea veröffentlicht, ein unheimlicher virtuoser Musiker.


DANIEL OTT:

TAKE 7 ("Klangkörperklang", rec. 16.-20.4.2002, SR DRS, Studio ZH. Hans Koch, bcl, 3 Akkordeons, 3 Hackbretter, Rico Gubler, ss, Wu Wie, sheng, Peter Kowald, b, u.a. MDB-CD).

PAS: Ein sehr kompaktes Ensemble, wahrscheinlich junge Musiker mit einem sehr breiten Background. Es entwickelt sich aus einer strikten Unisonolinie, geht minimalistisch weiter, splittet sich dann aber auf und die einzelnen Instrumente beginnen improvisatorisch zu spielen. Danach ein wuchtiges Kontrabassolo; dann kommen völlig andere Instrumente, Hackbretter, Akkordeons und es wird ganz wild... Es passieren sehr viele stilistische Dinge, die aber in einer sehr guten Weise in einen Bogen hineingebracht werden.


THEO JÖRGENSMANN QUARTET:

SISU ("To Ornette – Hybrid Identity", rec. 2000/01. Theo Jörgensmann, bcl, Christopher Dell, vib, Christian Ramond, b, Klaus Kugel, dr. hatOLOGY-CD).

PAS: Das ist das Theo Jörgendmann Quartett, phantastisch, schon von der Besetzung aussergewöhnlich, für mich eine der kompaktesten und interessantesten Gruppen des modernen europäischen Jazz im Moment. Viele komponierte Teile, die dann aber ganz eng mit dem Improvisatorischen verknüpft werden, ein dichtes Ineinanderwachsen von Komposition und Improvisation. 

 

Peter, herzlichen Dank fürs Mitmachen.




 

© JAZZ 'N' MORE Nr.1/2003
© Fotos: Peewee Windmüller



zurück