Johannes Anders
Musik - Journalist

HANS KOCH

Text und Fotos: JOHANNES ANDERS

Hans KochNach dem Ausstieg aus der klassischen Karriere als Orchestermusiker, machte sich Hans Koch einen Namen als einer der innovativsten improvisierenden Holzbläser Europas. Seit den achtziger Jahren hat er neben der regelmässigen Zusammenarbeit mit Martin Schütz mit vielen Grössen wie z.B. Cecil Taylor oder Fred Frith gearbeitet. Als Komponist prägte er von Anfang an den eigenständigen Sound des international bekannten Trios "Koch-Schütz-Studer" und komponierte Musik für Hörspiele und Filme. Mit Elektronik, Sampling und Computer, erweiterte er seit den neunziger Jahren die Klänge seiner Instrumente. Als Holzbläser entwickelte er einen sehr eigenständigen Stil, welcher ihn zu einem der originellsten Bläser der aktuellen Szene machte. Koch erhielt diverse Stipendien, Werkbeiträge, Kompositionsaufträge und Auszeichnungen, z.B. den Kulturpreis der Stadt Biel 1986 und 2002 den Kantonalen Berner Musikpreis und den Berner Filmmusikpreis. Er wirkte bei zahlreichen internationalen Projekten mit, u.a. im Globe Unity Orchestra, in der "Cecil Taylor European Big Band", im "Barry Guy New Orchestra" und im "Ensemble d`Improvisateurs Européens". Die Diskographie eigener oder unter seiner Mitwirkung entstandener Tonträger umfasst über 30 Titel. Umfangreich ist auch die Liste seiner Hörspiel- und Filmmusiken, u.a. für den vielfach preisgekrönten Spielfilm "Höhenfeuer" von Fredi M. Murer (u.a. Goldener Leopard am Filmfestival Locarno 1985).


ERIC DOLPHY 1960 bis 1963

1.)  BODY AND SOUL ("Candid Dolphy", rec.1960. E.D., as, Roy Eldridge, tp, Jimmy Knepper, tb, Tommy Flanagan, p, Charles Mingus, b, Jo Jones, dr. Candid-CD).

2.)  VARIANTS ON A THEME OF THELONIOUS  MONK / I. ("Jazz Abstractions" / Gunther Schuller, rec. 1960. E.D., bcl, as, fl, Ornette Coleman, as, Jim Hall, g, Eddie Costa, vib, Bill Evans, p, Scott LaFaro, George Duvivier, b, Sticks Evans, b, The Contemporary String Quartet. Atlantic-LP).

3.)  NIGHT MUSIC ("Vintage Dolphy", rec. 1962. E.D. bcl, B. Galbraith, g, Chuck Israels, Art Davis, b, Sticks Evans, dr. enja-LP).

4.)  GOD BLESS THE CHILD ("Berlin Concerts", rec. 1961. Eric Dolphy, bcl-solo. Enja-2LP).

5.)  IRON MAN ("The Illinois Concert", rec. 1963. E.D., as, Herbie Hancock, p, E. Khan, b, J.C. Moses, dr. Blue Note-CD).

Hans KochHK: Bei 1 hat mich in dieser Umgebung der Trompeter verunsichert, ansonsten klar, es waren Dolphy und Mingus, eine ziemlich alte Aufnahme, aber Dolphy war super; er spielte ja später manchmal zu lange Soli, gut gespielte, klar, aber irgendwann schalte ich dann ab … Bei 2 haben sich Dolphy und der Altsaxophonist sehr gut ergänzt, Dolphy sehr geschmeidig und melodiös, eine Art Hardbop-Erweiterung, und es swingt wie verrückt. In 3 glaubte ich, ein Mingus-Riff zu hören; erstaunlich, am Anfang habe ich Dolphy nicht gleich erkannt, hatte einen speziellen Klang, erst später, wo er mehr Töne spielte, war der Fall klar. Mit den grösseren Intervallsprüngen kündigt sich hier bereits der spätere, offenere, abstraktere Dolphy an. Sein berühmtes Bassklarinettensoli in 4 gefällt mir in dieser kürzeren Version  viel besser, ist mutiger, risikovoller, nicht so geschliffen wie andere Versionen. 5 erinnert mich an "Out to lunch" mit seinen Ausbrüchen. Mich nervt aber der Pianist, der als Begleiter viel zu viel Akkorde macht, was schon Miles Davis an Herbie Hancock störte. In seinen Soli hat er mir jedoch gut gefallen – eine spannende Sache das Ganze. Dolphy und Mingus gastierten ja mal in Biel, aber da war ich noch Dixieland-Fan und hatte vor allem Modern Jazz einen Horror.


HANS WERNER HENZE (*1926):

LA SELVA INCANTATA / 1991 ("Hans Werner Henze", rec. 2004, Auszug. Orchestre National de Montpellier, Dir. Friedemann Layer. Accord/Universal-CD.)

HK: Was ich schön fand und mich beeindruckte, war der Beginn des Ausschnitts mit der Bassklarinette und dieser offenen  Stelle, weniger interessant fand ich die marschmässigen, repetitiven Stellen; manche Teile wirkten wie Programmmusik. Solche Musik höre ich daheim weniger, aber gut gemacht. 


JOHN COLTRANE QUARTET:

ONE DOWN, ONE UP ("Live at the Half Note", rec. 1965, Auszug. J.C., sax, McCoy Tyner, p, Jimmy Garrison, b, Elvin Jones, dr. Impulse-CD.)

Hans KochHK: Coltranes Orginalquartett! Einzigartig, wie er die Chorusse aufbaut und strukturiert. Und man spürt hier sehr, dass er ausbrechen möchte, dass das kurz vor den Aufnahmen mit Rashid Ali ist.


THE DOWLAND PROJECT:

ACCENTI QUERULI / G. F. SANCES / ca. 1600-1679 ("The Dowland Project", rec. 2001, Auszug. John Surman, bcl, John Potter, voc, Stephen Stubbs, chitarrone, baroque guitar, Maya Homburger, baroque violin, Barry Guy, b. ECM New Series-CD).

HK: Eine ziemlich spezielle Sache, mit der ich Mühe habe, ein Gemisch aus altem klassischem Gesang, Volksmusik und ein bisschen Jazzimprovisation. Es fährt nicht, bleibt am Beat hängen, ziemlich eckiger Gitarrist … Wer ist der Bassklarinettist, Sclavis, Portal?


PETER BRÖTZMANN (*1941),1970 - 2004:

1.)  DE DAAG WAAROP … ("Balls", rec. 1970, Auszug. P. Brötzmann, ts, Fred van Hove, p, Han Bennink, dr. FMP-CD).

2.)  HAMMER REQUIEM ("Sonore", rec.2003, Auszug. P.B., cl, sax, tarogato, Ken Vandermark, cl, sax, Mats Gustafsson, sax. Okkadisk-CD).

3.)  NO 1 ("Still quite popular after all those things", rec 2004, Auszug. P.B., cl, sax, tarogato, Han Bennink, dr, voice. Eremite-LP).  

HK: 1 war ziemlich guter Black-Freejazz, erinnert mich etwas an David S. Ware, Matthew Shipp, Hamid Drake … Bei 2 könnte Brötzmann dabei gewesen sein, aber wer waren die anderen? Vandermark …, das überrascht mich etwas, so kenne ich ihn nicht. Was mir hier fehlt, ist, dass die am Anfang eine Art Thema spielen, auf das dann aber nie mehr Bezug genommen wird, jedenfalls nicht in diesem Ausschnitt. 3 hat mir am wenigsten gefallen, ist ein bisschen alles drin, anfangs passen die beiden gar nicht zusammen, später wird’s besser, klingt nach Holland, zumindestens, was den Drummer betrifft – dürfte Bennink sein …


IANNIS XENAKIS (1922-2001):

CHARISMA ("Xenakis", rec. 1974, Auszug. Hans Deinzer, cl, Siegfried Palm, cello. col legno-CD).

Hans KochHK: Das ist Neue Musik. Sehr schöner Anfang, wo man zuerst nicht genau erkennen konnte, ob das mit Elektronik ist oder nicht. Schöne Wechsel zwischen der Klarinette und den Celloklängen - und super gespielt, auch mit diesen Wellenbewegungen, hat wohl aleatorische Elemente drin. Habe allerdings etwas Mühe mit den gepressten Mehrklängen der Klarinette; ich mache das zwar auch, versuche aber, das nicht so zu forcieren. Aber spannende Sache.


AKI TAKASE / RUDI MAHALL:

WITH EGG ("The Dessert", rec. 2002. Rudi Mahall, bcl, cbcl, Aki Takase, p. Leo Records-CD).

HK: Takase und Mahall. Er ist einer der wenigen Musiker, die mich in den letzten Jahren inspiriert haben, hat einen speziellen Sound und swingt wie verrückt, z.B. auch in Schlippenbachs "Monk"-Projekt, das ich allerdings lieber live höre. 


WOLFGANG MITTERER (*1958):

RADIO FRACTAL / BEAT MUSIC ("Live at Donaueschingen 2002", Auszug aus CD 1, Track 2.   Max Nagl, bs, John Schröder, g, Herbert Reisinger, dr, Patrick Pulsinger, Erdem Tunakan, Wolfgang Mitterer, electr, Dieb 13, turnt. hatOLOGY-2CD).

HK: Der Anfang mit dem kurzen klassischen Einschub hat mich zuerst etwas irritiert, war wohl ein Gag des DJ. Überhaupt höchst spannend, wie DJ und Elektronik mit den Live-Spielern an Sax, Gitarre und Drums miteinander verzahnt sind. Die Aufnahmen muss ich unbedingt mal in voller Länge hören. 


JIMMY GIUFFRE 3:

WHIRRRR / EMPHASIS ("Emphasis, Stuttgart 1961". Jimmy Giuffre, cl, Paul Bley, p, Steve Swallow, b. hat  Art-CD).

HK: Sehr kunstvoll, strukturierte Sache …, lass mich noch ein zweites Stück hören. Sind das neue Aufnahmen, nein ? Wer ist das? Sehr schöne Musik mit vielen modernen Elementen, auch Paul Bley mit dem präparierten Klavier … JA: Für mich eine der "Einsame Insel"-Platten.


SHEIKHA RIMITTI (*1923):

N'TA GOUDAMI ("N'ta Goudami", rec. ca. 2005. Cheikha Rimitti, voc, & Band.  Because Music/Warner-CD). 

HK: Klingt wie alter algerischer Gesang mit modernem Rhythmus, etwas Richtung TripHop-Groove – mag ich sehr. Ich war ja mal drei Monate in Kairo und später haben wir dort mit ägyptischen Musikern Konzerte gegeben und danach eine CD aufgenommen … (JA: Koch/Schütz/Studer & El Nil Troop: "Haevy Cairo Traffic", Intuition 3175 2).


DETLEV-MÜLLER SIEMENS (*1957):

PHOENIX I ("Phoenix, Light Blue, almost white, Cuts", rec. 1999, Auszug. Ensemble Phoenix Basel, Dir. Jürg Henneberger. WERGO-CD).

HK: Spannendes Stück, super der Einstieg des Orchesters, das sich dann aber mehr und mehr verdünnt, bis dann nur noch ein Ton steht – auch die starke Rhythmik hat mich beeindruckt, klingt irgendwie nach deutschem Komponisten …


DEMIERRE / GUY / NIGGLI:

GIARDINO CALANTE / BRAINFOREST ("Brainforest", rec. live Uster 2004. Jacques Demierre, p, Barry Guy, b, Lucas Niggli, dr. Intakt-CD).

HK: Das ist Jacques mit Barry und Lukas, ein offenes Freejazztrio, das mir sehr gefällt, auch wie immer wieder spontane Strukturen zum Vorschein kommen …  Auffallend jedoch auch hier, im Gegensatz zu vielen amerikanischen Aufnahmen, die fehlende Klarheit und Durchsichtigkeit der einzelnen Instrumente, die fehlende Weite des Klanges, jedenfalls bei dem Stück; das klingt alles sehr eng. Ist das eine Live-Aufnahme? Bei unseren Platten gibt es übrigens auch solche Probleme. Das vorher gehörte Giuffre-Trio klang zum Beispiel super… JA: … obwohl das in Stuttgart und auch live aufgenommen wurde … Aber ich spiele noch ein zweites Stück an ... HK:  Das hier klingt besser …, ist ok.


JOY FREMPONG / SCHWERER EGON:

LIVE AT MOODS (ZKB-Jazzpreis 2005, rec. 2005, div. Auszüge. Joy Frempong, voc, Andreas Schopp, tb, Sascha Leuenberger, g, Simon Kaufmann, b, Dario "El Negro" Sisera, perc, Chrigel Bosshard, dr. Aufn. Moods).

HK: Erinnert mich sehr an Zappa, sehr gut gespielt, präzise Posaune und Rhythmik – und die Sängerin sehr powerful, gut gesungen, sehr kreativ, hat guten Drive, finde ich super.


TARA BOUMAN / ISABEL MUNDRY (*1963):  

MUNDRY: SPIEGEL BILDER ("Contemporary", rec. 2002. Tara Bouman, cl, E. A. Buchholz, acc. Aktivraum-CD).

HK: Das gefällt mir sehr, auch die Zusammensetzung Klarinette / Akkordeon. Die Klarinette wird mit ziemlich viel Feuer gespielt, überhaupt haben beide Drive. Sehr spannende Musik,  die nie langweilig wird. Es gibt wenig klassisch ausgebildete Musiker, die so befreit spielen wie hier; Heinz Holliger zum Beispiel kann das auch sehr gut, so direkt aus dem Bauch heraus ... Meistens fehlt da jedoch etwas, "fährt" nicht, hat keinen Drive ... JA: Tara Bouman gehört zum Stockhausen-Kreis und spielt viel mit Markus Stockhausen zusammen, zum Beispiel auch auf dieser CD.


CONTRABASSCLARINET PROJECT:

SPILLING BEANS ("Total Music Meeting 2001", Berlin. Wolfgang Fuchs, Armand Angster, cbcl, Françoise Kubler, voc, Paul Lovens, dr, perc. FMP-CD).

HK: An den Kontrabassklarinetten sind sicher Fuchs und Armand, die Vokalistin ist Françoise und Drums spielt Paul Lovens. Ein sehr gutes Sück, eine Mischung aus freier Improvisation und Neuer Musik …, da spitzt man die Ohren! Hat für mich mehr Bewegung, als so manches, was innerhalb der Neuen Musik komponiert wird.


ZENTRALQUARTET:

DER ALTE THÜRINGER ("11 Songs aus teutschen Landen", rec. 2005. Conrad Bauer, tb, Ulrich Gumpert, p, Ernst-Ludwig Petrowski, sax, fl, cl, Günter Sommer, dr. Intakt-CD).

HK: Ein ziemlicher Sprung zum Vorhergehenden, kam mir vor wie ein Grossorchester, für mich ein Gemisch aus Cecil Taylor und Sun Ra und es hat Anklänge an den südafrikanischen Jazz von Chris Mc Gregor's Brotherhood of Breath mit Dudu Pukwana.


EVAN PARKER ELECTRO-ACOUSTIC ENSEMBLE:

PART 5 ("The Eleventh Hour", rec. 2004, Auszug. E. Parker, ss, Phil Wachsman, viol, live electr, Agusti Fernandez, p, Paul Lytton, perc, live electr, & Ensemble. ECM-CD).

HK: Das ist Evan, kenne ihn gut - sehr spannende Musik, die zum intensiven Hören animiert – und sehr gute Zusammenarbeit zwischen akustischen Instrumenten und Elektronik. Ist das eine ECM-Aufnahme? Was ich da etwas vermisse ist, dass die Leute nicht mehr so tönen wie im Orginal, alles ist ein bisschen weicher … JA: … auch hier bei Evan? HK: Ja, seinen Sound kenne ich sehr gut - aber sehr gute, vielschichtige Musik!

 

Hans, herzlichen Dank, dass Du mich in Nürensdorf besucht hast.


© JAZZ 'N' MORE Nr. 2/2006.
© Fotos: Johannes Anders



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