Johannes Anders
Musik - Journalist

PETER WATERS

Text von Johannes Anders


Peter Waters 1Peter Waters, 1953 in Australien geboren, studierte Klavier in Adelaide und London. Bereits während seiner Studienzeit am Royal College of Music erhielt er verschiedene Auszeichnungen wie den Preis für kammermusikalisches Musizieren, zwei Solopreise sowie einen Preis der Australian Musical Association. Nach seinem Auftritt bei den Salzburger Festspielen, wo er die prominente Sopranistin Gundula Janowitz in Paul Hindemiths „Marienleben“ begleitete, folgten ausgedehnte Konzertreisen als Solist in zahlreiche Städte und zu verschiedenen Festivals, unter anderem nach Paris, Wien, Berlin, London, Rom, Stockholm, München und Zürich, aber auch nach Südamerika, Australien und Russland. Schwerpunkte in Waters‘ Repertoire sind Mozart und die Musik des 20. Jahrhunderts. So interpretierte er sämtliche Klavierkonzerte von Mozart sowie ebenso erfolgreich Werke für Klavier und Orchester von Bartók, Khatchaturian, Schnittke und Aribert Reimann. 1996 war Waters Musikdirektor und Solopianist des Austauschprojekts „Mozart und Moderne“ zwischen Russland und der Schweiz. Anfang 1997 erhielt er auf einer Tournee als Solist mit dem Orchestre de Lille für seine Interpretation von Ravels Klavierkonzert in G ausgezeichnete Kritiken.

Peter Waters ist Mitglied des Collegium Novum Zürich und arbeitete mit zahlreichen zeitgenössischen Komponisten zusammen wie George Crumb, Gunter Schuller, Mauricio Kagel, Arvo Pärt, Sofia Gubaidulina und Aribert Reimann. Ende 1999 war er am CH-Projekt „Musik der dritten Art“ beteiligt, bei dem Kompositionen für Solisten und Kammerorchester von Franco Ambrosetti, Sylvie Courvoisier, Pierre Favre und Mathias Rüegg uraufgeführt und Anfang dieses Jahres im Schweizer Fersehen gesendet wurden. Unter seinen Toneinspielungen wurde die CD mit Werken von Maurice Ravel, Erik Satie und John Adams mit der höchsten Auszeichnung Australiens, dem „ABC Classic FM“ als beste klassische Aufnahme des Jahres 1997, ausgezeichnet. Auf grosse Resonanz, zum Beispiel beim letzten Zürcher „jazznojazz“-Festival,  stösst auch sein um den sardischen Jazzer und Trompeten-Star Paolo Fresu gegründetes „Treya Quartet“, mit dem es Waters zusammen mit Bassist Tony Overwater und Drummer Gilbert Paeffgen in einzigartiger Weise gelingt, Musik von Gabriel Fauré (1845-1924) mit Jazz in Verbindung zu bringen. Wunderbar, wie sich die vier dabei dem lyrisch leichten Liedgut Faurés - Wegbereiter des Impressionismus und „Vater“ von Ravel und Debussy - nähern, wie sie die balladeske Grundstimmung aufnehmen und intensivieren, wie sie in die romantische Melodiosität eintauchen und damit spielen, (auf einer hervorragenden CD auf dem Basler Label Divox erhältlich: Gabriel Fauré - Treya Quartet, CDX-49802).

Am 16. Oktober 2000 wird Waters übrigens im Rahmen eines Aribert-Reimann-Portraits auf der Expo Hannover zusammen mit dem Münchner Kammerorchester, Deutschlands führendem Ensemble mit Schwerpunkt Neue Musik, Reimanns „Variationen“ für Solo-Klavier sowie sein Klavierkonzert Nr.2 aufführen, und beim lucerne piano festival „Piano 2000“ tritt Waters zusammen mit dem vielbeachteten Jazz-Pianisten Kenny Drew Jr. unter dem Motto „Bach und Jazz“ mit Kompositionen von Bach (Konzert C-Dur BWV 1061 für 2 Klaviere), Astor Piazzolla, Herbie Hancock, Enrico Pieranunzi, Paolo Fresu und Stevie Wonder, sowie mit Jazz-Improvisationen auf, (KKL, 21. November 2000, 22 Uhr). 


FRÉDÉRIC CHOPIN: Préludes Op.28, Nr. 16, b-moll.   

1.)  Grigory Sokolov (1‘16,  rec. 1990, Opus 111, OPS 30-290, 2CD).

2.)  Martha Argerich (0‘58,  rec. ca.1980, „Great Pianists Of The Century“,  Philips 462645-2, 2CD).

 

Peter Waters 2PW: Beide Versionen wurden brillant gespielt. Die erste war die alte Schule des Chopin-Spiels, mit viel Pedal, wo die Linie, der musikalische Fluss, wichtiger waren, als das Detail, - hat mir sehr gut gefallen. Der viele Pedalgebrauch gefällt mir nicht immer, aber hier wurde das so dezent gemacht, dass man doch die Details hörte, obwohl die nicht im Vordergrund standen.

Bei der zweiten Fassung ging es darum, mehr die Details, die Klarheit zu betonen, aber auch um starke Kontraste, die jedoch nicht im Notenbild stehen. Zuerst dachte ich, es sei Pogorelić, weil vieles, auch bei den schnellen Teilen, ohne Pedal gespielt wurde. Beim weiteren Hören wurde mir jedoch klar, dass er es nicht sein konnte, denn Pogorelić hat für mich immer viel Geschmack: Die Einwürfe mit der linken Hand zum Beispiel, die Akzente, wurden meines Erachtens hier übertrieben, waren zu hart. Dadurch wurde der Fluss der Musik beeinträchtigt. Das ist bei Pogorelić deshalb nicht der Fall, weil er die Musik über sich selbst stellt. Man kann sagen, was man will: Für mich ist Pogorelić die Wiedergeburt von Chopin. (Nach Bekanntgabe.) Fabelhafte Technik, ich liebe die Agerich bei manchem, aber sie spielt oft sehr hart, immer mit Overdrive. In Bezug auf Sokolov teile ich Deine Begeisterung.


SERGEI PROKOFIEFF: Piano Sonata Nr.7 Op.83, 3.Satz (komp.1942).

1.)  Svatoslav Richter (3‘33, P 1965, „Piano Music Of Our Century“, WERGO 286 222-2, 4CD-Box).

2.) Martha Argerich (3’05, rec. 1979, „Live from the Concertgebouw“, EMI Classics 7243

     5 56975 2).

 

PW: Prokofieff, 7.Sonate, 3.Satz !, ein Paradebeispiel für Siebenachtel und revolutionär für diese Zeit. Ich wollte den Anfang der 2. Version deshalb noch einmal hören, weil ich sicher sein wollte, dass der Pianist das Anfangstempo nicht durchhalten konnte, denn er fängt deutlich zu schnell an. Bei der ersten, älteren Aufnahme dachte ich zuerst, sie würde zu langsam gespielt, mit zu viel Rubato, und das es nicht nötig ist, so zu bremsen, aber das gehört zur älteren Spielart. Sie hat auch mehr von der Rauhheit dieses Stücks, ist straffer in der Formgebung, man hört das Melodische viel klarer, der Pianist nimmt sich mehr Freiheit, und dadurch kommt das Treibende mehr zur Geltung, und sie hat erstaunlicherweise mehr von dieser funkigen Art, als die 2. Aufnahme, die zwar viel schneller, rhythmischer, klarer ist, aber nicht die Wildheit der ersten hat, nicht die harmonischen Kontraste rausbringt. Ich würde daraus sogar schliessen, dass der erste ein Russe ist, der mehr in der Tradition von Prokofieff steht. Die zweite Aufnahme bringt zwar die modernere Art, Prokofieff zu spielen, läuft aber dauernd wie ein Rennpferd, wobei einiges verloren geht. Eigentlich ist das Stück jetzt wieder hochaktuell, ist die Zeit reif für eine Funky-Wiedergabe, weil so viele Jazz-Rock-Bands im Siebenachtel spielen. Das Beste wäre, es würde ein Jazzpianist spielen. (j.a.: Das wäre doch was für dich ?) PW: Ich danke Dir für diesen Vorschlag, das ist wirklich eine gute Idee für eine aktuelle Interpretation.


CLAUDE DEBUSSY: Préludes, Band 2, VIII, „Ondine“.

1.)  Friedrich Gulda (2’50, rec.1969, MPS 52001, 2LP).

2.)  Arturo Benedetti Michelangeli (3’23, rec.1988, DG 427 391-2).

3.)  Krystian Zimerman (3’24, rec.1991, DG 453 773-2, 2CD).

 

Peter Waters 4PW: Ist aus dem zweiten Band der Préludes von Debussy, ist es „Ondine“ ? – Grossartige Musik, hört sich immer noch modern an. Die dritte Aufnahme ist für mich mit Abstand die beste. Sie hat alle Farben, ist poetisch, lyrisch, dann wieder spielerisch, ist vollkommen, so, wie ich das Stück kenne und in den Noten lese, und so natürlich aufgenommen, als sässe man daneben, - wunderschön, wunderbar. Die zweite Aufnahme klingt hier so, als hätte der Pianist viel zu laut gespielt, mit hässlichem Klang, ohne Anschlagskultur; ob das wohl die Aufnahmetechnik ist, mit den Mikrophonen viel zu nah an den Hämmern... Die erste hat mir vom Ganzen her gut gefallen, allerdings eine altmodische Art, Debussy zu spielen, etwas romantisch, mit viel Pedal, wenig Details, könnte Gieseking gewesen sein. (Nach Bekanntgabe:) Michelangeli ist mein Lieblingspianist für Debussy, das absolut Göttlichste, das ich kenne. Ich liebe seine Aufnahmen der sechziger und siebziger Jahre. Sein Spiel gehört für mich zu den grossartigsten Erlebnissen, er hat die wunderbarste Anschlagskultur aller Zeiten.


JOHANN SEBASTIAN BACH: Goldberg Variations, BWV 988, Variatio 20 a 2 Clav.

1.)   Jacques Loussier Trio (1’06, rec.1999, Telarc CD-83479).

2.)   Keith Jarrett, Harpsichord (1’14, rec.1989, ECM New Series 1395/839 622-2).      

3.)   Glenn Gould (0’50, rec. 1981, „The Glenn Gould Edition“, SONY Classical SMK 52619).

 

Peter Waters 5PW: (Nach Loussier:) Darf ich eine Zwischenfrage stellen bezüglich des Aufnahmejahres? (ja: 1999). Spielt Jacques Loussier eigentlich immer noch Bach so wie früher, oder hat er inzwischen etwas mehr geübt ? Wenn er es ist, klingt das so, als ob er besser spielt, als vor 30 Jahren. Früher hat er nicht so sauber Bach gespielt wie hier, es ging ihm damals mehr um den Jazz... Die dritte Aufnahme, - ist das Glenn Goulds erste oder zweite Aufnahme ?, aha, die zweite. Die erste war trockener, ganz ohne Pedal, war eine Art Markenzeichen und Meilenstein für einen neuen Klavierklang, fernab vom sanften Anschlag. Für mich steht er über allem, sein Spiel ist für mich nach wie vor das Nonplusultra aller Goldberg-Aufnahmen. Er war ein Genie ! Man spürt, dass er alle Stimmen gleichmässig hört. Da ist nichts von der alten Klaviertradition, die durch das Chopin-Spiel entstanden ist, die auch sehr schön ist, mit ihren Schattierungen und der Hierarchie der Stimmen. Bei Goulds Bachspiel sind alle Stimmen gleichwertig, was zeigt, dass die romantische Tradition dafür nicht geeignet ist. Gould ist genial, phantastisch, obwohl ich nicht immer mit seinem Anschlag einig gehe. Das einzige was ich nicht von ihm hören kann, ist Mozart. Gould hat bei ihm immer nach einem Sinn gesucht und nicht gefunden, weshalb er Mozart einen schwachen Komponisten fand. Aber Mozart ist gerade deshalb so stark, weil er in seiner Musik gar nicht nach einem Sinn gesucht hat, nicht danach suchte, was ist richtig und was ist falsch hat. Er ist einfach fragil und verletzlich, das ist seine Stärke, und das konnte Glenn nicht verstehen. Aber ausser Mozart spielte Glenn Gould glaube ich alles interessant und wunderbar. (j.a.: ...und zur zweiten Aufnahme ?) PW: Hat mir sehr gut gefallen, so bescheiden...


JOACHIM KÜHN: Johann Sebastian Bach „Sarabande“ from Partita II (Solo Piano, rec. 1999, „the diminished augmented system – Dedicated to Ornette Coleman“, EmArcy 542 320-2).

PW: Hm..., ok: Da war eine ungeheure Menge an Aktivität in den letzten vier Minuten, die Zeit wird mit wahnsinnig viel Tönen gefüllt. Warum diese Panik?  Solche Musik hab ich am liebsten, wenn sie geschrieben ist, wie das beispielsweise Conlon Nancarrow tut. Wenn einer aber in diesem Stil improvisiert, fehlt mir das Mathematische; es klingt zwar mathematisch, wenn der improvisierende Pianist aber studiert hätte, was er spielen soll, hätte er etwas ganz anderes gemacht. Am liebsten war mir die Stille nach der Aufnahme, man hört die Vögel zwitschern und ich fühlte mich wieder bei mir. (Nach Bekanntgabe:) Ach so..., ich liebe seinen Jazz-Rock, - sorry Joachim.


BEIRACH – HÜBNER – MRAZ: “Around Bartok’s World” (rec. 1999, “round about Bartok”, Richie Beirach,p, Gregor Hübner,viol, George Mraz,b, ACT 9276-2).

Peter Waters 6PW: Das Ganze verblüfft mich, kann nicht sagen, wer das war; zuerst dachte ich, es sei europäischer Kammerjazz, sei Pifarély und Couturier..., als dann aber der Standard kam (j.a.: “You and the night and the music”), wurde ich schwer auf die Probe gestellt. Lässig gespielt, total wach, brillante Musik, wie die mit sehr wenig Intervallen arbeiten, mit unwahrscheinlich spannendem Klangfarbenaufbau, - das hat mir sehr gefallen. Und dann sind es zwei unheimlich gute Jazzspieler, auch im Freien. (Nach Bekanntgabe:) Richie Beirach is a genius!.


LUCAS NIGGLI & SYLVIE COURVOISIER: “Miniature V” (rec. 1999, “”Lavin”, Intakt Records 058/1999).

PW: (Lacht beim klassischen Zitat der Pianistin), das ist phantastisch, der Schlagzeuger klingt ein bisschen wie Pierre oder vielmehr wie Lucas, wie bei einem Duo-Konzert, das ich kürzlich mit ihm in St.Gallen hatte. Diese kurzen Phrasen, die lieb ich..., brillant!. Als Miles Davis kurz vor seinem Tod einmal nach der Zukunft der Musik gefragt wurde, antwortete er nach langem, langem Überlegen: “Short phrases”. Damit ist natürlich nicht nur das gemeint, sondern auch die Stille dazwischen, die alles enthält; alles kann kommen, auch die Chance, zu improvisieren...


LENNIE TRISTANO: “C Minor Complex” (rec. 1962, “The New Tristano”, Piano Solos, Atlantic-LP).

PW: Meine Kenntnisse fangen bei Bill Evans an, aber ich liebe auch älteren Jazz, bin z.B. ein totaler Erroll-Garner-Fan. Aber weißt du, Johannes, das ist lustig, ich muss hier an Pianisten denken, die ich gar nicht nicht kenne: ich kenne z.B. überhaupt nicht Lennie Tristano....(!)


HERBIE HANCOCK: “One Finger Snap” (Ausschnitt Trio-Teil, “Gershwin’s World”, Live-Aufn. vom “jazznojazz”-Festival Zürich 1999, Ira Coleman,b, Terry Lye Carrington,dr, DRS2 7.4.2000).

PW: Das ist Herbie, einer meiner grossen Einflüsse; er spielt immer so frisch und jedesmal anders, aber immer erkennt man die harmonischen Freiräume, die er lässt. Unglaublich!. Und er hört ganz genau, was seine Mitmusiker spielen, ist hellwach auch für die Begleitung. Ich verfolge seine Konzerte seit Jahren und glaube, dass er im Moment auf seinem Höhepunkt ist. Ich war ja kürzlich bei seinem Basler Konzert (im Rahmen des OFF BEAT/JSB-Festivals, ja) und habe ihn nie so gut gehört.


ENRICO RAVA – PAOLO FRESU GROUP:

“My Funny Valentine” (Ausschnitt Fresu-Solo, Live-Aufn. vom OFF BEAT/JSB-Festival 2000, Volkshaus Basel, DRS2, 9.6. 2000).

Peter Waters 7PW:  Das war natürlich Paolo; sein Klang ist mir so nah, ich höre ihm oft zu, denn wir spielen ja zusammen im Treya Quartet. Es ist immer wieder ein wunderschönes Erlebnis und ein grosses Glück für mich, mit ihm spielen zu können. Auch bei diesem grandiosen Basler Konzert war ich dabei. Ein grosses Talent, dieser junge Pianist. Auf der Bühne war er sehr extrovertiert, nachher im Gespräch strahlte er eine grosse Ruhe aus. Auch Paolo ist ein sehr ruhiger Typ; ich liebe diese Ruhe, die er auch in der Musik so echt ausdrückt. Er ist ein unglaublicher Mensch. Ich kenne ihn ja als Direktor seines Festivals in Sardinien, wo er mit hundert Dingen gleichzeitig umgehen muss, alle Fragen beantwortet, mit allen spricht, für alle Zeit hat und trotzdem dabei die Ruhe behält. Rava und Fresu sind sehr gute Freunde und spielen gern zusammen, (j.a.: beim Konzert in der Widder-Bar bekam ich sogar den starken Eindruck, dass alle fünf beste Freunde sind und Riesenspass haben, miteinander zu musizieren).


MONICA ZETTERLUND – BILL EVANS: „Jag vet en dejlig rosa“ (rec. 1964, M. Zetterlund,voc, Bill Evans,p, Chuck Israels,b, Larry Bunker,dr, „Waltz for Debby“, Philips/Sweden 510 268-2).

PW: Hat die eine schöne Stimme ! Der Pianist klingt beim Solospiel wie Bill Evans, oder es ist jemand, der Evans verblüffend drauf hat. Allerdings spielt er bei der Liedbegleitung reine Moll- und Dur-Akkorde, was Bill meistens nicht macht. (Nach Bekanntgabe:) Die Sängerin kenne ich nicht, ist aber eine unglaubliche Offenbarung.


SIMON NABATOV TRIO: „The Show“ (Ausschnitt, Live-Aufn. aus dem Kölner „Loft“ vom 19.1.99, Simon Nabatov,p, Marc Helias,b, Tom Rainey,dr, DLF 26.6.2000).

PW: Das ist Simon Nabatov ! Kann technisch alles, hat einen unwahrscheinlichen Erfindungsreichtum, arbeitet mit allen Konzepten und Farben, die es in der heutigen Musik gibt. Ich bewundere, wie er eigentlich alles spielen kann, auch die total stilgerechten Einwürfe mit traditionellem Jazz, mit diesen perfekten Oktaven... Auch hier hört man Nancarrow, aber Nancarrow mit allen möglichen Mitteln, die ganze Freiheitspalette, die es überhaupt in der heutigen Musik gibt. Dann ist das Ganze dazu noch so schön strukturiert, wie eine Komposition, wo man alles durchhören kann, nicht einfach so drauflos gespielt, sondern immer mit einem totalen Konzept, was allerdings ganz frei und blitzschnell umgesetzt wird, (j.a.: ... ein Pianist, der in puncto Spieltechnik und Ausdrucksemotionalität die ultimativen Möglichkeiten seines Instruments auslotet, wie im Begleittext zu dieser Sendung zu lesen war). Es war wunderbar, Simon wieder einmal zu hören !.


ART TATUM: „Humoresque“ (von Dvořák, rec. live 1949, Solo Piano, „Piano Starts Here“, CBS-LP CS 9655).

PW: Ich kenne die Humoresque von Erroll Garner, aber das hier war natürlich Art Tatum. Es ist begeisternd, seiner Lebensfreude zuzuhören, mit so schnellen Läufen..., das ist unglaublich.


BRAD MEHLDAU: „Resignation“ (rec. 1999, Solo Piano, „Elegiac Cycle“, Warner Bros. 9362-47357-2).

PW: Das ist absolut wunderbar, mit unglaublichem harmonischem Reichtum. Ich kenne einen Pianisten mit ähnlichem harmonischem Erfindungsreich und das ist Enrico Pieranunzi, aber du sagtest, das er in dieser Auswahl nicht vorkommt. Der hier geht noch einen Schritt weiter, mit mehr Überraschungsmomenten, wie in einer Drehung mit Chopin-Elementen, die aber dann ins Atonale gehen, mit ganz überraschenden Wendungen.


JEAN-YVES THIBAUDET: „Prelude to a kiss“, „The clothed woman“ (rec.1998, Solo Piano, „Reflections On Duke“, Decca 460 811-2)

PW: Das ist wirklich lustig. Du fragst nach dem Anschlag: in diesem Stück ist das nicht gefragt, da geht es mehr um das Pointierte, Rhythmische, und das macht er blendend. Diese fundierten Kenntnisse von altem Jazz auch hier, aber es klingt alles wie geschrieben (j.a.: es stimmt, alle Stücke sind von verschiedenen Autoren speziell für diesen Pianisten arrangiert). Ich glaube nicht, dass das ein Jazzpianist ist, der spielt nicht mit einem Jazzgefühl. Aber nochmals zum Anschlag: Es gibt Pianisten mit unglaublicher Anschlagskultur, Pogorelić zum Beispiel, Perahia, und Zimerman, den wir hörten, Mitsuko Uchida mit Mozart, auch Bill Evans und Herbie Hancock, Pieranunzi und natürlich Keith Jarrett, a great genius ! Dieser Pianist hier hat keinen ausgesprochen herausragenden Anschlag, aber er spielt höchst brillant, rhythmisch und klar. Und: Hut ab vor den Arrangeuren. - Weißt du übrigens, wer grandios Ellington spielt ? Kenny Drew Jr. !


AHMAD JAMAL: „But Not For Me“ (rec. 1958, Jamal,p, Isreael Crosby,b, Vernell Fournier,dr, „Live At The Pershing“, Chess MCD 09108).

PW: Das klingt wie von meinem Lieblingspianisten, aber warten wir auf ein Solo...Nein, es ist nicht Oscar Peterson wie ich zuerst dachte, wegen dem prägnanten funky play of tunes..., (j.a.: er war einer der Lieblingspianisten von Miles Davis...); dann ist es Ahmad Jamal ! Im Gegensatz etwa zu Herbie Hancock, der immer wieder die Akkorde verändert, versucht das Ahmad Jamal nie, er macht das vielmehr mit dem Timing und das war das, was Miles liebte. Aber ich liebe ihn auch.


 © JAZZ' N 'MORE Nr. 4/2000
Fotos: © Peewee Windmüller



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