Johannes Anders
Musik - Journalist

Ein Meilenstein der Jazzgeschichte

Miles Davis: Die spannende Geburt von „Kind of Blue“

 

In diesem fesselnden Kompendium geht es um die jazzgeschichtlich einzigartigen Aufnahmen für die seinerzeitige Columbia-LP „Kind of Blue“, bei denen im März und April 1959 in einer zum Aufnahmestudio umfunktionierten, alten New Yorker Kirche im südlichen Manhattan neben Leader Miles Davis, John Coltrane, Cannonball Adderley, Bill Evans, der auf einem Titel durch Wynton Kelly ersetzt wurde, sowie Paul Chambers und Jimmy Cobb mitwirkten, eine Platte, die bis heute 6 mio. Mal verkauft wurde und zu den wichtigsten und einflussreichsten Meilensteinen des Jazz zählt. 

Das Buch liest sich wie ein spannender Roman, jedoch einer, der sich bis in kleinste Detail an absolute Faktentreue hält, der aber auch das breite zeitgeschichtliche und musikalische Umfeld dieser 50er Jahre ausleuchtet und mit dem Thema in enge Bezüge setzt, in dem mehr oder weniger beteiligte Personen aus dem näheren und weiteren Umkreis von Miles kontaktiert und befragt werden - Musiker, Produktionsleiter, Tontechniker, Archivleiter, Freunde - und in dem der einzige noch Überlebende dieser Ausnahmen, der Drummer Jimmy Cobb, zu Wort kommt und das Vorwort schrieb.

  Im Mittelpunkt des Buches stehen die akribische Darstellung der Studiosessions mit all den Gesprächen, Dialogen, Witzeleien, etwa Cannonballs humorvolle Sprüche oder Miles‘ ständige Frotzeleien gegenüber seinem Produzenten, aber auch die Beschreibung der Fehlstarts und Abbrüche. Möglich wurde das Abhören des ungekürzten Bandmaterials, das neben der Musik auch alle Gespräche wie auch Kommentare von Toningenieur, Aufnahmeleiter, Produzent usw. enthielt und für das extra eine Bandmaschine präpariert werden musste, weil der Autor, der US-Musikjournalist Ashley Khan, von der Firma Sony erstmals grosszügig die Gelegenheit erhielt, in die alten Columbia-Archive hinabzusteigen, um das gesamte Material, neben den Bändern auch Studiorapporte, Textunterlagen, Bildmaterial, Protokollbögen, handschriftliche Notizen, Honorarzettel, Vermarktungsunterlagen usw. zu sichten. So ist z.B. auch ein reprographischer Nachdruck eines handschriftlichen Textes von Bill Evans für die Plattenhülle abgedruckt. Einzigartig sind auch die zahlreichen, zum Teil seltenen Fotos und Schnappschüsse der Musiker innerhalb und ausserhalb des Studios, aber auch von beschrifteten Tonbandkassetten, Mischpulten, Notenblättern, Tontechnikern, Studioszenen usw. Die so oft bei derartigen Büchern zu findenden musik- und jazzspezifischen Ungenauigkeiten wurden übrigens dadurch vermieden, dass man für die Mitarbeit bei der Übersetzung den bekannten Jazzpublizisten und Musikwissenschaftler Peter Niklas Wilson beizog. Natürlich gehört zu einer derartig tiefschürfenden Dokumention ein ausführliches Register, eine detaillierte Liste der Quellenangaben, eine Bibliographie sowie eine Auswahldiskographie. ja

 

(Ashley Khan: „Kind of Blue“, Verlag Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 1. Auflage 2002, 274 S. ISBN 3-8077-0176-1,  Fr. 56.- ) 

 


 

© JAZZ' N' MORE - Nr. 4/2002
©Fotos: Johannes Anders



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