Johannes Anders
Musik - Journalist

Spannende Klangexkursionen über 4000 Tasten

  

Musik Hug in Zürich-Glattbrugg: 45 Instrumente in Europas größtem „Flügelsaal“

 

Hug FluegelKlavierbauer, Chefstimmer und Werkstattleiter Dirk Jenfeldt öffnet die Saaltür und bereits der erste Eindruck ist überwältigend: Flügel aller Größen, soweit das staunende Auge reicht. Auf 400 Quadratmetern stehen 45 Instrumente fünf bedeutender Flügelhersteller der Welt zum Probespielen bereit; an erster Stelle natürlich verschiedene Exemplare von Steinway & Sons, ist doch Musik Hug einer der größten und ältesten Vertragshändler und Vertreter dieser weltweit wichtigsten Klaviermarke. Weiter gibt es verschiedene Modelle von Blüthner, Schimmel, Yamaha und Grotrian-Steinweg, sowie vom exklusiven italienischen Flügelhersteller Fazioli. Diese vor 20 Jahren gegründete, aufstrebende, immer bedeutsamer werdende Firma verfolgt eine eigene Klangphilosophie und baut den größten, serienmäßig hergestellten Flügel der Welt.

 Eine „Tonhalle“ der besonderen Art: Hug-Flügelsaal in Zürich. Foto: Hug

 Musik Hug konnte vor einiger Zeit eines dieser 3,08 Meter langen Instrumente an einen Liebhaber verkaufen. Natürlich darf für das intensive Vergleichen zwischen den Charakteren der verschiedenen Instrumente, Ausführungen und Marken auch ein Bösendorfer nicht fehlen, obwohl Musik Hug hier nicht Firmenvertreter ist. Mit einem gepflegten Occasionsinstrument ist aber auch diese Marke vertreten, sodass für ausgiebige Spiel- und Klangvergleiche alle Möglichkeiten offen stehen. Identische akustische Bedingungen, eine vollautomatische Luftfeuchtigkeitsregelung und die Möglichkeit, auch an Samstagen und Sonntagen stundenlang völlig allein und ohne Aufsicht in aller Ruhe probespielen zu können – das alles sind nahezu ideale Bedingungen. „Der Traum aller Pianisten geht in Erfüllung“, heißt es in der Hug-„Flügelsaal“-Information; und dass das keine leeren Versprechungen sind, beweisen die ständigen Besuche großer Pianistinnen und Pianisten, Musikerpersönlichkeiten und Jazzlegenden. Über die Namen der prominenten Gäste, die dem „Flügelsaal“ im nahe dem Flughafen Zürich-Kloten gelegenen Glattbrugg, sowie der im gleichen Gebäude befindlichen Klavierbau-Werkstatt mit ihren diplomierten Spezialisten einen Besuch abstatten – zum Probespielen und/oder zum Einholen diverser klangtechnischer und instrumentspezifischer Informationen und Empfehlungen –, wird aus Diskretionsgründen und gemäß deren Wünschen jedoch Stillschweigen gewahrt.

Musik Hug existiert seit 1807, kann also in sechs Jahren das 200-jährige Jubiläum feiern. Geleitet wird das Unternehmen von Erika Hug, einer Vertreterin der sechsten Generation der Familie Hug. Sie ist seit 1979 für die Geschicke der Firma verantwortlich, die mit ihren diversen Instrumentbereichen, Werkstätten, Musikverlagen, Tonträger-, Musikalien- und HiFi-TV-Video-Abteilungen, einem Kinder-Musikladen, den Filialen in acht weiteren Schweizer Städten, den Großhandelstochterfirmen Musica Nova AG und Musica Viva AG sowie der Jubiläumsstiftung „Kind und Musik“ zu den größten und ältesten ihrer Art zählt. In den Jahren 1991 bis 1993 konnte der lange geplante Umbau des Stammhauses am Zürcher Limmatquai und am Großmünsterplatz realisiert werden und präsentiert sich seitdem mit seinen über 3.000 Quadratmetern als „bestes, schönstes und größtes Musikhaus der Schweiz“, wie es stolz in der Familien- und Firmengeschichte heißt.

Musik Hug war übrigens einer der ersten Abnehmer von Steinway-Flügeln, woraus sich eine gegenseitige Vertrauenbasis entwickelte, die nun schon seit über hundert Jahren anhält. Sämtliche hier erhältlichen Steinways werden im Werk Hamburg hergestellt, das ganz Europa und Asien beliefert. Das Werk New York liefert demgegenüber vor allem in den amerikanischen und lateinamerikanischen Raum. Beide Firmen arbeiten gleichberechtigt und selbstständig, gehören aber zum gleichen Pianoimperium. Den Herstellungsort kann man übrigens an der Oberfläche erkennen: Die Hamburger Instrumente erkennt man an der hochglanzpolierten Polyesteroberfläche, die Flügel aus New York zeichnen sich durch ein mattes Äußeres aus. Die Klavierbauer und Techniker der Hug-Werkstatt, welche die Steinway-Konzertflügel betreuen, haben zu ihrer Lehrzeit und den Volontariaten in den verschiedenen Hug-Filialen eine Ausbildung in der Steinway-Akademie in Hamburg zu absolvieren. Das Nonplusultra dieser Ausbildung ist das Steinway-Diplom. Dieser Abschluss beinhaltet, einen Konzertflügel konzertfähig zu machen, wozu zum Beispiel das Einbauen neuer Hammerköpfe gehört sowie der ganze „Aufbau“ des Instruments wie Regulation, Intonation.

Ein guter Stimmer und Techniker muss aber auch in der Lage sein, so der aus Hamburg stammende Hug-Werkstattleiter und Klavierbauer Dirk Jenfeldt, ergänzend zu seinem technischen Können mit viel Einfühlungsvermögen und psychologischem Geschick ein gutes Vertrauensverhältnis zum Kunden, zu renommierten Pianisten und Pianistinnen, aufbauen zu können, was dann Grundlage für eine möglicherweise jahrelange Beziehung ist. Wenn zum Beispiel Alfred Brendel ein Konzert gibt, ist stets derselbe Techniker anwesend, der weiß, welche speziellen Einstellungen für Regulation und Klanglichkeit beim entsprechenden Instrument gewünscht sind. Das bedeutet dann jeweils bis zu acht Stunden Vorarbeit. Andere Interpreten probieren vielleicht zuerst die beiden in der Zürcher Tonhalle vorhandenen Steinways aus, bevor sie sich für einen entscheiden, bei dem dann der anwesende Hug-Techniker eventuelle besondere Wünsche ausführt. Klavierbautechniker der Firma Hug betreuen zum Beispiel auch die Anlässe der berühmten Luzerner Musikfestwochen und hier natürlich speziell die alljährlich im November stattfindenden Piano-Festivals.

 Ein Klavierbautechniker muss das hoch komplexe Produkt Flügel, so Jenfeldt weiter, nicht nur pflegen, sondern auch verstehen können, denn jedes Instrument ist ein Individium und keines gleicht dem anderen. Nur auf dieser Basis kann er auf die Eigenarten und den Charakter eines Instruments und eventuell auch auf die speziellen Wünsche und Vorlieben eines Kunden oder Besitzers eingehen. Die zu jedem Instrument gehörende Karte, auf der wie in einer Art Lebenslauf alle wichtigen Daten, Arbeiten und Eigenarten vermerkt sind, aber auch die Nummer, die jedes Instrument und den Lieferanten genau identifiziert, ist dafür eine erste Hilfe, aber nicht mehr.

 Zu den Höhepunkten der letzten Zeit zählen für die Hug-Werkstätten zum Beispiel die komplette Restaurierung des Wagner-Flügels aus dem Richard-Wagner-Museum in Tribschen bei Luzern. Das 1858 gebaute, 2,54 m große Instrument der französischen Marke „Erard“, das mit einer ganz eigenen Mechanik ausgerüstet ist und auf dem Wagner noch selbst gespielt hat, war in schlechtem Zustand, und es brauchte vier Monate, um das Instrument wieder spielfähig zu machen. Einen weiteren Werkstatterfolg stellte die Totalrestaurierung des bekannten Rachmaninoff-Flügels in der jetzt von Rachmaninoff-Enkel Serge Rachmaninoff bewohnten Villa Senar in Hertenstein am Viewaldstättersee dar, ein 2,74 m großer Steinway, Modell D, der sich seit 1933 dort befindet. Die Restaurierung gelang so gut, dass der prominente Pianist Mikhail Pletnev seine 1999 bei der Deutschen Grammophon erschienene CD „Hommage to Rachmaninoff“ hier aufnahm.

 Vieles weiß der Klavierbauer und Hug-Werkstattchef auch von den einzelnen von Hug vertretenen Herstellern zu berichten. Etwa von der traditionellen Leipziger Marke Blüthner, die zu DDR-Zeiten mit grossen Problemen zu kämpfen hatte, aber seit der Wende wieder zu neuem Leben erweckt wurde. Gebaut wird zwar nach neuen Kriterien, am beliebten früheren, romantisch weichen Klangbild wird aber festgehalten. Auch werden wieder die grossen, 2,80 Meter langen Konzertflügel hergestellt, wie überhaupt jede der grossen Firmen derartige Instrumente baut.

 Ein idealer Platz zum Empfinden und Erspüren der Unterschiede der verschiedenen Instrumente und Marken ist der große „Flügelsaal“ von Musik Hug in Glattbrugg. Man wechselt zwischen den Instrumenten hin und her, streichelt dabei diese und jene der rund 4.000 Tasten mal sanft, setzt sie perlend in Bewegung oder man stellt sie mal mit donnernden Akkordblöcken auf die Probe. Wer die Wahl hat, hat dann eventuell auch die Qual. Aha-Erlebnisse sind aber in jedem Fall garantiert.

 

Johannes Anders

 


 

©nmz - Neue Musikzeitung - 3/2001 -



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