Johannes Anders
Musik - Journalist

HEINRICH HEINE / ATTILA ZOLLER / GERT WESTPHAL

"Lyrik und Jazz"
Gert Westphal (Rezitation), Attila Zoller (g), Emil Mangelsdorff (fl, as, cl),
Peter Trunk (b), Klaus Weiss (dr), Stella Banks, (voc)
(Philips 987 6629 / rec. 1964 / Universal)




Kulturkritiker mit Hang zum Reinen, Absoluten, abhold jeglicher Form von Annäherungen verschiedener kultureller Genres, sahen damals rot und tun das vielleicht heute noch, wenn es ums Thema Lyrik und Jazz ging oder geht. Was diese Reinheitsapostel völlig übersahen und überhörten, war, dass sich hier in den sechziger Jahren vor allem in Europa eine neue kreative Kunstform entwickelt hatte, die im Idealfall nicht nur zu einer eigenständigen Gattung wurde, sondern die auch wichtige künstlerische Vermittlungs- und Brückenschlagfunktionen bedeutete: Jazzhörer machten mit vor allem moderner Dichtung und Prosa Bekanntschaft und umgekehrt wurden Literatur- und Lyrikfreunde möglicherweise erstmals mit anspruchsvollem, modernen Jazz konfrontiert, was nicht selten Folgen hatte. Die beiden wichtigsten Repräsentanten dieser Kunstrichtung im deutschsprachigen Raum waren der einzigartige Rezitator, Erzähler, Sprecher, Vorleser und „Doyen der Sprechkunst“ Gert Westphal (1920-2002) und der zu den bedeutendsten Jazzautoren und Promotoren zählende Joachim Ernst Berendt (1922-2000).

Genial, wie auch bei der Edition "Heinrich Heine - Lyrik und Jazz" nicht einfach Musik und Rezitation sich abwechseln, sondern wie beides wunderbar und inspirierend miteinander verflochten wird. Dass das All Star Quartett um den legendären Meistergitarristen Attila Zoller diese Aufgabe mit Bravour bewältigte, beeindruckt heute wie damals. Höchst erfreulich, dass das laufende "Heine-Jahr" zum 150. Todestag des grossen Dichters (1797-1856) auch Anlass dafür war, diese CD-Neu-Edition im Original-LP-Layout und mit den Orginal-Covertexten herauszubringen. Und weil heute immer weniger gelesen wird, bietet diese CD auch für Wenigleser Gelegenheit, diesen kritischen, kämpferischen, politisch angriffigen, aber auch nachdenklichen, romantischen, spöttischen wie ironischen Lyriker auf diese Art neu oder wieder zu entdecken.

Wie lange müssen wir übrigens noch warten, bis ebenso faszinierende Aufnahmen wie z.B. die vergriffenen "Enzensberger - Lyrik und Jazz", "Lyrik und Jazz - Gottfried Benn" oder "Jazz und Lyrik - Peter Rühmkorf / Johnny Griffin" - alle vom Gespann Westphal / Berendt und auf Philips - wiedererscheinen oder der Südwestrundfunk SWR so gelungene Berendt-Westphal-SWF-Produktionen wie beispielsweise James Baldwin & John Coltrane oder James Baldwin & Charles Mingus von 1964/65 endlich aus seinen Archiven holt und auf dem hauseigenen Label "SWR>>music" (hänssler classic) herausbringt? Johannes Anders

Zum Thema "Lyrik und Jazz" siehe auch:
> Gert Westphal
>
Joachim Ernst Berendt


© JAZZ 'N' MORE - 6/2006 - Flashes 



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