Johannes Anders
Musik - Journalist

KEITH JARRETT

"Tokyo Solo"

Keith Jarrett (p)

Ein Film von Kaname Kawachi.  

Recorded live in Tokyo, October 30, 2002 at Metropolitan Festival Hall.( Engineer: Martin Pearson. NTSC, Color, 16:9, Dolby Digital Stereo, Dolby Digital 5.1, DTS 5.1. Region Code 0 - worldwide. Total time 110 min.

Manufactured and distributed by ECM Records GmbH under License of VideoArts Music Int.

ECM DVD 5501- 9873186 / CH-Vertrieb Phonag)


Diese erstaunliche DVD stellt zwei Jubiläen dar: Sie dokumentiert einerseits Keith Jarretts 150. Konzert in Japan und andererseits ist sie – sozusagen als Premiere - die 1. DVD-Edition, die ECM in eigener Regie herausbringt. Vor allem aber ist diese DVD musikalisch wie in Bezug auf Kameraführung und Bildregie ein herausragendes Ereignis! Was man im vor einem Jahr im Rahmen der Reihe "Klanghotel Musik" von SF DRS gesendeten 85-minütigen Portrait-Film "Keith Jarrett - The Art of Improvisation" (auch als DVD erhältlich) zwangsläufig nur in kurzen Ausschnitten sehen und hören konnte, hier wird es zum bewegenden Akt: Keith Jarretts gestalterisch und emotionell einzigartige improvisatorische Höhenflüge durch alle Zonen des Ausdrucks, der Dynamik, Agogik und Spieltechnik, sein grandioses Instant Composing, das in weite Bereiche der Melodik, Rhythmik und spontanen, beidhändigen Kontrapunktik vordringt, das Ausloten von Intensivierungsmöglichkeiten mit Tonkaskaden, Arpeggio- und Tremolo-Formen, die eingebrachte Energie, sein neuartiges Konzentrieren und Verdichten auf kürzere improvisatorische Komplexe  … Über weite Teile sind das spannende, innovative Entwicklungen und Exkursionen in abstrakte melodische Bereiche, die trotz des dramaturgischen Aufbaus und organischen Fliessens für manche ungeübten Zuhörer möglicherweise eine Herausforderung bedeuten. Sie werden gegen Ende des Konzerts und vor allem mit den 3 stürmisch erklatschten Zugaben der Standards "Danny Boy", Old Man River" und "Don't Worry About Me" (!) aber wieder in gewohntere melodische Gefilde zurückbegleitet.

Vorbildliche Bildregie

Hervorzuheben aber auch die musikgemässe Bildgestaltung und Kameraführung: Im Gegensatz zu den meisten TV-Jazz-Filmen und Festivalmitschnitten (Montreux, Bern, Lugano, Jazz Baltica usw.) keine hektischen Schnitte, Einstellungswechsel und Kamerafahrten, keine minutenlangen "anatomischen" Grossaufnahmen von Händen und Fingern …; stattdessen ruhige Zoomfahrten aus verschiedenen Positionen der Totale auf den Pianisten und wieder zurück, langsame Schwenks über Instrument, Hände, Tastatur und Spieler, vor allem aber immer wieder geduldiges Verweilen in bestimmten Kamerapositionen, zum Beispiel beim Blick auf die Bewegung der Füsse und den Pedalgebrauch, oder Einstellungen, die die Bewegungen des Körpers zeigen und auch dann stehen bleiben, wenn Jarrett wie gewohnt bei intensiven Sequenzen immer wieder mal aufsteht und so sein Oberkörper aus der Bildebene verschwindet. Eine so gehandhabte Bildregie vermittelt eindrücklich die Gestalt und Lebendigkeit des Spielers in all ihren charakteristischen Facetten, das aber, ohne je von der Musik abzulenken, im Gegenteil. Übrigens: Vier Auszüge dieses Konzerts konnte man schon auf der vor einem Jahr erschienenen Solo-Edition "Radiance" hören (ECM 2CD 1960/61).

Johannes Anders

Foto:© PD SF DRS
© JAZZ' N' MORE - Nr. 3/2006



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