Johannes Anders
Musik - Journalist

DIETER ULRICH

Text und Fotos von Johannes Anders

Dieter Ulrich 1Geboren 1958 in Zürich, 1965 bis 1980 Klavierstudium bei Irma Scheichet, daneben autodidaktisches Schlagzeugspiel. Erste Erfahrungen als Co-Leader verschiedener Bands mit Harald Haerter. Professioneller Einstieg mit den Gruppen "Puls" und Omri Ziegele Quartett. Studium der Kunstwissenschaft und der Geschichte des Mittelalters. Nationalfonds-Stipendium 1991-93. Seither Publikationen im Bereich Skulptur des 18. und 19. Jahrhunderts sowie zur Klassizismustheorie. Von 1983 bis zu dessen Tod 1995 Zusammenarbeit mit Urs Blöchlinger, ausserdem Konzerte und/oder Aufnahmen, mit Omri Ziegele, Glenn Ferris,  Luten Petrowoski, Tom Varner, Nathaniel Su Trio, Werner Lüdi Sunnymoon, Trevor Watts, Lindsay  L. Cooper, Christoph Gallio, Christoph Baumann, Jacques Siron, Urs Voerkel, Alfred Zimmerlin, Co Streiff, Jörg Solothurnmann, Vinny Golia u.a., sowie mit eigenen Formationen. Auftritte in Willisau, Zürich, Genf, Berlin, Köln, Donaueschingen, Mailand, Grenoble sowie weltweit zwischen Archangelsk, Madagaskar, Bangalore und Moskau. Seit 1986 zahlreiche musikszenische Produktionen mit Daniel Mouthon und Alfred Zimmerlin. 1988 Werkbeitrag und Einladung ans Jazz-Festival Zürich mit "The Remaining to the Left" (Dieter Ulrich Quartet). 2002/03 Live-Musik-Filmprojekt "pane per tutti" mit Christoph Baumann, Jacques Siron, Lucilla Galeazzi und Gianluigi Trovesi. Mitglied diverser CH-Bands, z.B. Noisy Minority, Chris Wiesendander Trio und Christoph Grab Quartett. Co-Programmacher des Zürcher "Unerhört"-Festivals und des Jazzclubs Allmend in Oberengstringen. Mit Gabriela Friedli erscheint demnächst eine Intakt-CD.


BABY DODDS:

DRUM SOLO ("African & Afro-American Drums", The United States: Jazz Drumming, © 1954, Baby Dodds, dr. Ethnic  Folkway Library-LP).

DU: Wunderbar, phantastisch – ging in Richtung Baby Dodds – ist verrückt, hat in den Vierern immer einen Elfer untergebracht, waren immer Siebenachtel und dann zwei regelmässige Zweiergruppen dazu (vokalisiert den Rhythmus)…


LOUIS ARMSTRONG:

TEA FOR TWO ("Satchmo in Boston", rec. 1947, L.A. and his All Stars, L.A.,tp, Jack Teagarden, tb, Barney Bigard, cl, Dick Carey, p, Arwell Shaw, b, "Big Sid" Catlett, dr. SWF 1965).

DU: Ein monströs guter Klarinettist, hippe Phrasierung – und überhaupt nicht antiquiert! War am Anfang nicht ganz sicher, ob das Cozy Cole oder "Big Sid" war, hat im Duo mit dem Klarinettisten ein paar Dinge gemacht, die mehr nach Cozy Cole klangen – die harten Schläge zwischendurch und die Snare-Sachen, was typisch für ihn ist; Sound und Leichtigkeit des Spiels liessen dann aber doch auf "Big Sid" schliessen. 


JOHNNY GRIFFIN QUARTET:

ALL THE THINGS YOU ARE ("Night Lady", rec 1964, J. Griffin, ts, Francy Bolland, p, Jimmy Woode, b, Kenny Clarke, dr. Ohiluips-LP.)

DU: … ist ganz sicher Johnny Griffin, wahnsinnig, wie der hier spielt – und beim Schlagzeuger vermute ich Roy Haynes … - die sehr hell gestimmten Snares, was typisch ist für ihn, und überhaupt die vielen Snare-Sachen in den Fours …; dann das viele Auf-Eins-spielen, die kleinen Marschfiguren, sehr ausgeflippte Sachen zwischen Hi-Hat und Ride-Becken … (Nach Info:) Erstaunlich, Kenny Clarke spielte eigentlich kaum je so wild, machte kaum je soviel Sachen mit Becken und Snare – und es hat einige tierische Unfälle drin, die man eigentlich von  Kenny Clarke nicht kennt, eher bei Roy Haynes, der das manchmal auch provoziert   … Interessant der Pianist, hat offensichtlich viel Tristano gehört …


ORNETTE COLEMAN:

THE SPHINX ("The Music of Ornette Coleman", rec. 1958, O. Coleman, as, Don Cherry, tp, Walter Norris, p, Don Payne. b, Billy Higgins, dr. Contemporary-LP).

DU: Ornette mit 'The Sphinx' mit Don Cherry, Walter Norris, Billy Higgins von der Platte 'Something Else', ein Heiligtum bei mir!  Interessant bei den Westcoast-Pianisten wie Walter Norris, dass sie beide – Bud Powell und Lennie Tristano – in ihr Spiel einbeziehen, während bei den Ostküstenpianisten diese Einflüsse total getrennt sind.


IGOR STRAWINSY:

DANSE SACRALE ("Le Sacre du Printemps", rev. Vers.1947, rec. 1989, Philharmonia Orchestra London, Leitg. Eliahu Inbal. Teldec-CD).

DU: Strawinsky, "Sacre" …, überraschend gut dirigiert, wer ist denn das? Ich kenne nur die Aufnahme mit Pierre Boulez, die viel zahmer ist. Boulez macht ja alles sehr genau, sehr transparent, aber dieser Dirigent …, so abdrücken …, gewaltig, habe ich nie zuvor so gehört!


CLIFFORD BROWN / MAX ROACH:

52nd STREET THEME / TH. MONK ("Pure Genius", rec. 1956, C. Brown, tp, Max Roach, dr, Sonny Rollins, ts, Richie Powell, p, George Morrow, b. Electras Musician-LP).

DU: Lacht, lacht …, das war Bebop in Reinkultur, Tempo ungefähr 300, irre Sache, aber chaotisch …, an den Drums natürlich Max Roach; aber der Trompeter …, Fats Navarro oder Howard McChee …, nein ? Auf Clifford Brown wäre ich nicht gekommen, weil ich wegen der schlechten Klangqualität ein früheres Aufnahmedatum annahm, also vor seiner Zeit …


AFRICA DJOLÉ:

OUMMA AULARESSO ("Percussion Music from Africa", rec. 1978, Drummer Quartet. FMP-LP).

DU: Das ist 'Africa Djolé! – die Platte ist bei mir im Evangeliumsabteil, danach habe ich lange Zeit geübt und analysiert, kenne sie fast auswendig - für mich der Aufhänger für Afrika. Das erinnert mich an Paul, einen südafrikanischen Musiker und Stammkunden bei Nina– ich habe ja jahrelang bei ihr geschafft. Wir haben oft stundenlang Platten gehört, er hatte ein wahnsinniges Wissen und ich habe unheimlich viel von ihm gelernt – ich war gerade in meiner grossen Afrikaphase ...


BÉLA BARTÓK:

KONZERT FÜR SAITENINSTRUMENTE, SCHLAGZEUG UND CELESTA ("Béla Bartók – 18881-1945", , 4. Satz / Allegro molto,  P. 1964, London Symphony Orchestra, Leitg. Georg Solti. Decca-LP).

DU: Bartók ! Von meiner Klavierlehrerin, die Schülerin von Bartók war, bin ich zu meiner Freude mit Béla Bartók gefüttert worden, nach dem mich Mozart mehr und mehr gelangweilt hatte. Ich habe aber auch gern Schubert und Kodály gespielt … JA: Warum bist du denn nicht Pianist geworden? DU: Weil ich nicht gut genug war; alle sagten immer, ich solle doch lieber Schlagzeug spielen, weil hier meine eigentliche Begabung lag. Und so ist die Welt von einem äusserst mittelmässigen Pianisten erlöst worden. 


CHARLES TOLLIVER AND HIS ALL STARS:

HOUSEHOLD OF SAUD ("Charles Tolliver and his All Stars", rec. 1968, Ch. Tolliver, tp, Gary Bartz, as, Herbie Hancock, p, Ron Carter, b, Joe Chambers, dr. Black Lion-LP).

DU: Charles Tolliver - und der Drummer ist Jimmy Hopps? JA: Nein, es ist Joe Chambers, der ja auch einer deiner Favoriten ist. DU: Hopps ist ein toller, aber unterschätzter Drummer. Ich habe auch wunderbare Tolliver-Aufnahmen mit dem ganz jungen Alvin Queen, bei dem ich damals total ausgeflippt bin.


SHANKAR:

ANANDA NADA MADUM TILLAI SANKARA ("Who's To Know – Indian Classical Music", rec. 1980, Shankar, viol, Zakir Hussain, tabla, u.a. ECM-LP).

DU: Das ist Zakir Hussain; ich versuche oft, derartige endlose Perioden, Figuren und punktierte Sachen zu spielen, wo dann meine Mitmusiker amüsiert sagen, oh, jetzt kommt der Dieter wieder mit seinem Inder … Ich hatte ja mal zwei ethnologische Phasen, zuerst eine indische und dann die afrikanische und es macht mir viel Spass, solche Perioden zu erfinden. Für mich sind die ganzen ethnologischen Musiken wie eine Art Steinbruch, wo man Dinge findet und aufnimmt, nicht um sie möglichst authentisch nachzuspielen, was ich völlig öd, langweilig und peinlich finde, sondern, um daraus was Eigenes zu machen …


1.) MILES DAVIS QUINTET:

NEFERTITI ("Nefertiti", rec. 1969, M. Davis, tp, W. Shorter, ts, H. Hancock, p, R. Carter, b, Tony Williams, dr. Columbia-CD).

2.) CIRCLE:

NEFERTITY ("Paris-Concert", Anthony Braxton, reeds, Chick Corea, p, David Holland, b, Barry Altschul, dr. ECM-2LP).

DU: (Zu Nr. 1:) … nach 'ner Sekunde weiss man, das ist Tony Williams. (Nach den ersten Tönen von Nr.2:) Wenn Du jetzt die Aufnahme bringst, die ich vermute, hast Du wieder eine Ikone von mir getroffen – es ist genau das Stück von 'Circle'! – unglaublich, damned fucking such! Und dann der phänomenale Einstieg von Barry Altschul …, ist auch ein unsung hero. Auf dem Album hat es übrigens noch ein unbegleitetes Solo von Dave Holland, für mich eines der schönsten Basssoli, die ich je gehört habe. Was mir im Vergleich zu Barry Altschul fast schmerzlich auffällt: Der Tony Williams ist einfach kein Free-Spieler, er probiert alles immer auf irgendwas aufzugleisen und beim vorher gespielten Stück ist er nicht mal sehr genau, er ist wahnsinnig verrückt, aber oftmals einfach nur verrückt, was der der Band eigentlich zu nichts dient - ist eigentlich mit seinem Zeug der Band sogar im Wege, ist so präpotent, so funktionslos, vor allem, wenn man bedenkt, was zur gleichen Zeit in Chicago an Freejazz passiert ist … Er ist ein grossartiger Schlagzeuger, aber mutwillig, was musikalisch nicht dienlich ist, einfach clumsy … Demgegenüber zieht Barry Altschul die Band mit, ist tänzerisch, meldet an, wenn z.B. die Eins kommt usw. Für mich ist die Rolle des Schlagzeugers die, dass er ein guter Dramaturg, ein guter Regisseur ist. JA: Und Tony Williams in früheren Miles Aufnahmen? DU: Das ist irrsinnig, phänomenal, dort wurde im Wechselspiel mit Ron Carter die moderne Rhythm Section aufgegleist! Diese Dynamik hats nie zuvor gegeben.


KEITH JARRETT / GARY PEACOCK / JACK DEJOHNETTE:

I LOVE YOU ("The Out-of Towners", rec. 2001, K. Jarrett, p, G. Peacock, b, Jack DeJohnette, dr. ECM-CD).

DU: 'I love you' – für mich schwer rauszufinden, wer das war, weil es eine sehr  aussergewöhnliche Art von Schlageugsolo war - wirkte auf mich, um es mal flapsig zu sagen, wie wenn Max Roach viel Ed Blackwell gehört hätte …; im Ernst, der Beat klang nach der Art, wie das Jack DeJohnette aufgleist, aber nicht so perfekt, wie man es von ihm gewöhnt ist, mit ein paar rechten Hängern drin, ein Solo mit überraschend didaktischem Charakter …


PERCUSSION ORCHESTRA:

LAYA LEHARI ("Percussion Orchestra meets Phong Lan Orchestra Hanoi, rec. Live Expo 02 Yverdon, Reto Weber, perc., Michael Riessler, Djamchid Chemirani, zarb, Christy Doran, g, Eberhard Weber, b, Mathuswany Balasubramoniam, mridangam, & Phong Lan Orchestra Hanoi. Reto Weber-CD / www.retoweber.ch).

DU: X… die Begegnungssituation gefällt mir sehr, diese südindischen, typischen rhythmischen Umsteiger-Licks, das sind natürlich Sachen, die man von Ed Blackwell bestens kennt und der Gitarrist …!, muss einer der beiden sein, Larry Coryell oder John McLaughlin, aber ich kenn mich mit Gitarristen nicht so gut aus. 


DIETER AMMANN:

CORE ("Lucerne Festival Sommer 2002 – Moderne Lucerne 1", rec. 2002, Auszug, Uraufführung, Basel Sinfonietta, Leitg. Peter Rundel. SR DRS2 2002).

DU: Ein höchst spannendes Stück und wahrscheinlich eine riesige Herausforderung für das Orchester …


PAUL MOTIAN:

DANCE ("I have the room above her", rec.2004, Paul Motian, dr, Bill Frisell, g, Joe Lovano, ts. ECM-CD).

DU: Das ist möglicherweise Paul Motian, ein Schlagzeuger, der mir meistens sehr fremd bleibt. Er hat wahnsinnig toll und eindrücklich bei Bill Evans und auch bei den frühen Sachen mit Keith Jarrett gespielt: Aber sobalds dann free wird, finde ich ihn unverständlich, häufig stört er meiner Meinung nach sogar die Ideen seiner Mitmusiker. Er bewegt sich dann in einer rhythmischen 'Vagheit', scheint mir gedanklich und spieltechnisch nicht greifbar, geradezu unentschlossen. Habe bei seinem Spiel häufig ein "so what"-Gefühl, vieles wirkt zufällig, ich fühle mich davon abgelenkt statt aufgefordert, mitzuhören. Als Qualität empfinde ich seine Sparsamkeit. Wer mich aus dem selben Umfeld und derselben Generation mehr beeindruckt ist Billy Elgart den man vor allem vom  frühen Paul Bley Trio her kennt. Ich habe Schlagzeuger gern, die gemeinsam mit ihren Mitmusikern etwas erzählen wollen. 


SYLVIE COURVOISIER / JOËLLE LÉANDRE / SUSIE IBARRA:

TAKTLOS 3 ("Passaggio", rec. 2001, S. Courvoisier, p, Joëlle Léandre, b, Susie Ibarra, dr. Intakt-CD).

DU: Hier drückt sich das Schlagzeug klar aus, erzählt eine Geschichte, ist reaktionsschnell - "ghörsch"!, - geil oder? -  ist alles ist total genau mit dem Klavier zusammengesetzt, hat eine klare Konzeption…


Dieter, vielen Dank für Deinen Besuch




 © JAZZ 'N' MORE Nr. 2/2005
Fotos © Johannes Anders



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